Die Suendenburg
einen Mönch suchen, der sich in der Burg befindet. Er trägt eine einfache Kutte. Wenn ihr ihn habt, setzt ihn vorläufig fest. Alles verstanden?«
»Ja, Herr.«
»Wiederhole es.«
Er wiederholte richtig, so schickte ich ihn fort. Und dann atmete ich tief durch.
Zum Fuß der Steilwand zu gelangen war ein mühsames Unterfangen. Ich musste einen Bogen um die Burg schlagen, einen Hang querfeldein hinuntersteigen, mir den Weg durch Strauchwerk bahnen, Geröll überwinden und im Wald am Fuß der Steilwand im hohen Laub und dichten Geäst die richtige Stelle finden. Dort wartete der zweite Wachmann neben der Leiche.
Bilhildis lag mit grauenhaft verrenkten Gliedern auf einem hüfthohen, bemoosten Felsen, der die Form einer umgedrehten Schale hatte. Das sah aus wie ein Mahnmal, sich der Burg nicht weiter zu nähern.
Wie gerne hätte ich mir den näheren Anblick erspart, zumal ich es gewesen war, der das, was vor mir lag, verbrochen hatte. Doch ich musste sie in Augenschein nehmen, um den Eindruck einer Untersuchung zu erwecken.
Ich sagte mit einer Schnelligkeit – die ich im Nachhinein als unklug empfinde – zu dem Wachmann: »Sie hat sich freiwillig in den Tod gestürzt.«
»Da müsste sie sich aber ganz schön fest durch das enge Fenster gequetscht haben, Herr. Es ist gerade einmal doppelt so breit wie eine Schießscharte.«
»Sie war hager. Ihr Körper passt hindurch.«
»Ja, Herr, es kann passiert sein, wie Ihr sagt. Aber sich von der Burgmauer fallen zu lassen ist leichter.«
»Ich nehme an, sie musste Blut spucken, und in einem Anfall von Verzweiflung wählte sie den schnellsten Weg in den Tod. Zweifelst du an meinen Worten?«
»Nein, Herr.«
Meine Beurteilung wurde nicht weiter von dem Wachmann infrage gestellt, wie man auch die Diagnose eines Medicus nicht anzweifelt.
Damit hätte alles ein Ende haben können, doch der Wachmann sagte: »Während ich auf Euch wartete, Herr, habe ich mich ein Stück von der Leiche entfernt. Es war nicht angenehm, hier zu stehen, das versteht Ihr sicher, Herr.«
»Na, und wenn schon. Was willst du mir sagen?«
»Ich bin an der Steilwand entlanggegangen, Herr. Dort hinüber, seht Ihr? Und da habe ich etwas gefunden.«
»Was gefunden?«
»Wenn Ihr mir bitte folgen wollt. Ich habe nichts angerührt, ganz ehrlich.«
Ich folgte ihm widerwillig, denn mir ging so vieles durch den Kopf oder lag mir schwer auf der Brust, dass ich für irgendwelche Entdeckungen irgendeines Wachmanns keinen Sinn hatte. Außerdem galt es, weitere umgestürzte Baumstämme und einige Felsen zu überwinden, was mir in meinem weiten Mantel mehr Mühe bereitete als dem Soldaten.
Doch die Bedeutung der Entdeckung wurde mir sofort klar, als wir die Stelle erreichten. Dort lag, teils bedeckt von Laub, das, was des Wachmanns Aufmerksamkeit erregt hatte: ein einst weißes Nachtgewand, das lange der Witterung ausgesetzt gewesen sein musste und daher verschmutzt und ergraut war. Die verblassten Flecke im Brustbereich des Gewandes sowie die leichte Einfärbung im Beinbereich waren trotzdem noch gut zu erkennen. Ich vermutete, dass es sich dabei um Blut handelte. Die weitere Suche förderte folgende Gegenstände zutage: einen kostbaren Dolch mit der Inschrift »Konradus Rex«, eine leicht deformierte Schatulle, die nur mit einiger Mühe zu öffnen war und Schriften enthielt, den alten, verbeulten Helm, den ich mit Elicia im Geheimgemach gefunden hatte, eine Holzperlenkette, den Ring des Königs sowie den Schlüssel zur Schatzkammer.
»Hier herunter kommt sonst niemand, Herr. Die Sachen hätten auch noch zehn Jahre und mehr unentdeckt herumliegen können.«
Ich blickte die Steilwand hinauf, die in die Außenwand eines Burggebäudes überging.
»Sag mir«, fragte ich den Wachmann, »wessen Gemächer befinden sich dort oben direkt über uns?«
Claire
Vorhin, kurz nachdem ich erwacht war, kam ein Wachmann und brachte mir eine schriftliche Botschaft des Vikars: Bilhildis ist tot, mein Sohn ist in der Burg, und für mich und Aistulf geht tödliche Gefahr von ihm aus. Malvins Botschaft ist etwas ausführlicher, als ich es hier darlege, aber nicht viel.
Der Wachmann sagte: »Ich lasse drei Männer vor Eurer Tür postieren, Herrin, und ebenso viele vor der Tür des Grafen.«
Ich sagte: »Nein. Ich will, dass du alle Wachen aus diesem Bereich der Burg abziehst.«
»Aber Herrin …«
»War ich nicht deutlich genug?«
»Doch, Herrin.«
»Du ziehst sie alle ab, auch die vor den Gemächern meines Gemahls. Ich
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