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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Bilhildis ging fort. Erst danach ging ich nach oben in die Kesselkammer, um warmes Wasser nachlaufen zu lassen. Freilich, für eine kleine Weile hätte jemand das Gemach und das Bad betreten können, doch die Heidin hätte denjenigen bemerken müssen, denn sie war ja bereits im Bad. Dasselbe gilt für die Zeit, nachdem ich das Gemach des Grafen schließlich verlassen hatte. Ich wusste, der Graf würde nach dem Bad ungestört sein wollen, da er – Ihr wisst schon – dieses Weib bei sich hatte. Da hat sie ihn umgebracht. Ich bin mir sicher. Sie sagt ja selbst, dass sie mit Graf Agapet allein im Bad saß. Da war sonst keiner. Keiner. Als die Herrin Elicia ihn fand, war der Graf schon tot. Daher kann nur die verfluchte Heidin meinen Herrn getötet haben.«
    Ich führte den Satz im Stillen fort: … wenn man nicht annimmt, dass er sich selbst oder dass Raimund ihn getötet hat.
    Ja, der Graf selbst oder der Leibeigene hätte es getan haben können.
    »Wie lange stehst du in den Diensten deines Herrn?«
    »Ihr denkt doch nicht etwa, dass ich …«
    »Das ist ausgeschlossen«, mischte die Gräfin sich ein. »Allein der Gedanke ist abwegig.«
    Ich entgegnete: »Bevor eine Strecke erkundet wird, Gräfin, ist sie immer abwegig. Nun also, Raimund. Wie lange?«
    »Seit mehr als dreißig Jahren, seit er Graf wurde, diente ich meinem Herrn. Bilhildis kam vor sechsundzwanzig Jahren im Gefolge der Gräfin aus dem Westfränkischen Reich herüber, und wir heirateten mit dem Einverständnis des Grafen. Danach wurde ich der Leibdiener des Grafen und Bilhildis die erste Zofe der Herrin, später die Amme ihrer Kinder.«
    Was war das für eine Wahl: Der erfolgreich vom Feldzug heimgekehrte Graf, der soeben noch rauschend seine Rückkehr gefeiert und sich ein Weib ins Bad bestellt hatte, schneidet sich selbst die Kehle durch; oder der seit dreißig Jahren treue Diener tötet seinen Herrn mit kühler Berechnung und ohne erkennbaren Grund; oder die erbeutete ungarische Heidin, die kurz vor dem unfreiwilligen Beischlaf durch den Grafen stand, beging die Tat. Jedes Gericht würde sich für die dritte Möglichkeit entscheiden.
    Ich gab es nicht gerne zu, denn ich mochte vorgefertigte Meinungen nicht, aber was Raimund mir unterbreitete, entbehrte nicht der Vernunft. Ich ging sogar noch einmal zu den Truhen, um nachzusehen, ob sich dort jemand versteckt haben könnte, aber schließlich sah ich ein, dass das unmöglich gewesen wäre, denn sie waren weder breit noch lang noch tief genug. Allenfalls ein kleines Kind hätte dort hineingepasst.
    Zurück im gräflichen Gemach fragte ich: »Was ist mit dieser Seitentür dort? Hätte durch sie jemand das Gemach des Grafen betreten und von dort ins Bad gelangen können?«
    »Hinter der Tür befindet sich die Schatzkammer«, antwortete die Gräfin, die sich eine Weile im Hintergrund gehalten hatte. »Dort werden die Steuereinnahmen, der Sold für die Waffenträger und der Lohn für das freie Gesinde aufbewahrt. Außerdem der Schmuck, den wir besitzen.«
    Hinter der nicht verriegelbaren Tür befand sich eine verschlossene, schwere Gittertür, die die Gräfin mit einem klobigen Schlüssel öffnete. Die Schatzkammer war ungefähr so groß wie eine begehbare Speisekammer. Einige Gestelle beherbergten Schatullen, Beutel und größere Kassetten, darunter ein besonders kostbar gearbeitetes Stück mit den Initialen »K.R.«: Konradus Rex. Ich nahm sie in Augenschein: schweres Silber, reich ornamentiert, der Deckel gewölbt, das Innere mit Hermelin gepolstert.
    »Man kann sich in der Schatzkammer verbergen«, stellte ich fest.
    »Nun ja …«
    »Natürlich nur jemand, der den Schlüssel hat.«
    Die Gräfin wurde auffällig still.
    »An jenem Abend konnte sich niemand dort verbergen«, wandte Raimund ein. »Als der Graf das Gemach, vom Fest kommend, betrat, ging er zur Schatzkammer, öffnete sie und warf einen Blick hinein.«
    »Wieso hat er sie geöffnet?«, fragte ich. »Hat er etwas entnommen oder hineingelegt?«
    »Das habe ich nicht erkennen können. Aber wenn sich jemand in der Schatzkammer verborgen hätte, dann hätte er ihn entdeckt.«
    Wieder musste ich dem Diener insgeheim zustimmen – vorausgesetzt, er sagte die Wahrheit. Auch wenn mich die den Dolch betreffenden Widersprüche, die Elicia während des Essens angesprochen hatte, nachdenklich machten, so kam ich an einer Tatsache nicht vorbei: Ohne dass Raimund oder die Ungarin es bemerkt hätten, wäre keiner zu Graf Agapet ins Bad vorgedrungen, weder

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