Die Suendenburg
die Gräfin noch Aistulf noch irgendjemand sonst. Trotzdem blieb das Verhalten der Gräfin am Tag nach der Tat seltsam, als sie das Wasser aus dem Becken im Bad hatte ablaufen lassen. Hatte sie die Mordwaffe an sich nehmen wollen? Wenn ja, zu welchem Zweck?
»Habt Ihr noch Fragen an Raimund?«, fragte sie.
»Ja. Hast du während Graf Agapets Feldzug einen Dolch in diesem Gemach herumliegen sehen?«
»Ja, Herr, dort auf dem Tisch. Ein Dolch mit silbernem Griff. Ich denke es mir so, dass die Heidin in dem Moment, in dem ich mich mit meinem Weib Bilhildis unterhielt und wir nicht aufpassten …«
»Es ist gut. Du darfst gehen«, sagte ich.
Mit einem Wink schickte die Gräfin den Diener fort, wartete, bis Stille eingekehrt war, und sagte: »Nun, nachdem das geklärt ist, wollte ich noch … Ihr habt gewiss … Es tut mir leid, dass Ihr vorhin Zeuge des unsäglichen Streits werden musstet. Ihr müsst einen schrecklichen Eindruck von unserer Familie bekommen haben, und zu allem Übel stimmt dieser Eindruck.« Sie lachte erregt auf. »Ein aufgeschlitzter Graf, seine heidnische Konkubine, seine neuerlich verheiratete Witwe in guter Hoffnung, deren aufgebrachte Tochter … Was für eine Familie! Man hält sie fast nicht für wahr.«
Ich lächelte. »Soweit ich weiß, hatte auch der große Alexander ein schlimmes Familienleben, von Klytämnestra ganz zu schweigen.«
Damit brachte ich sie und mich selbst zum Lachen. Das lockerte die Ernsthaftigkeit des vorherigen Gesprächs auf und tat uns gut.
»Ja, so gesehen, Vikar, habt Ihr recht. Mir wäre es trotzdem lieber, mein Familienleben nicht auf einer Stufe mit einer griechischen Tragödie leben zu müssen.«
In dem Dreivierteldunkel der Schatzkammer suchte ich ihre Augen und fand zwei schwarze, mattglänzende Perlen. »Noch ist es nur ein Drama, Gräfin, nicht mehr. An einer Tragödie wirken viele mit, und keiner ist unschuldig. Ihr habt es also selbst in der Hand.«
Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Jedenfalls ist mir jetzt leichter. Ich würde keine Nachtruhe finden, wenn ich mich nicht bei Euch entschuldigt hätte – und Euch um Verschwiegenheit bitten würde.«
»Hier liegt ein Missverständnis vor, Gräfin. Ihr habt Euch für nichts zu entschuldigen und um nichts zu bitten, das selbstverständlich ist. Der Streit mit Eurer Tochter ist für mich nicht von Wichtigkeit. Ich sammele Tatsachen, keine üblen Nachreden. Eure Mutterwerdung beispielsweise interessiert mich keineswegs aus moralischen, sondern lediglich aus den Anlass des Mordes betreffenden Gründen. Ich komme nicht umhin, Euch danach zu fragen. Das versteht Ihr sicherlich.«
Dass wir uns kaum sehen konnten, erleichterte uns das Gespräch. Die Dunkelheit ist ein gutes Versteck für den Austausch von allerlei Peinlichkeiten, Sünden und Bosheiten, die man sich Auge in Auge nie gestehen würde. Sich nicht zu sehen bedeutet, sich einreden zu können, es sei alles gar nicht so schlimm.
»Das Kind ist von Agapet«, sagte sie mit großer Entschiedenheit. Es verbot sich daher für mich, eine Nachfrage zu stellen wie: Seid Ihr sicher? Ihr Bauch hatte allerdings nicht danach ausgesehen, als würde sie dieser Tage im sechsten Monat sein. Und sollte das Kind auch nur drei Wochen zu spät zur Welt kommen …
»Man wird vielleicht die Rechtmäßigkeit anfechten«, sagte ich nüchtern.
»Aber wenn ich Euch doch sage …«
»Ich sagte nicht, dass ich sie anfechte. Die Tatsachen sind: Euer Gatte wurde ermordet, zwei Tage danach heiratet Ihr einen anderen Mann, obwohl Ihr wisst, dass Ihr ein Kind erwartet, und dann übernimmt dieser Mann mir nichts, dir nichts das hohe Amt des Grafen. Das kommt einer Besitzanmaßung gleich. Dazu kommt, dass Ihr geheim hieltet, guter Hoffnung zu sein. Das alles wiegt schwer, Gräfin, bedeutet jedoch nicht, dass die Anfechtung in jedem Fall erfolgreich wäre.«
»Was kann ich tun, Vikar?«
»Dass das Kind zur richtigen Zeit zur Welt kommt, würde sehr helfen, Gräfin.« Da mir das zu zynisch klang, fügte ich hinzu: »Überdies könnte ein Reinheitseid sehr nützlich sein, vielleicht sogar den Ausschlag geben.«
»Ein Reinheitseid?«
»Er ist im vollen Licht des Tages zu leisten, vor so vielen Menschen wie möglich, die Hand auf dem Kreuz. Gott wird als Zeuge angerufen, dass das Kind von Graf Agapet stammt.«
Über die strengen Strafen bei Meineid schwieg ich. Es wäre mir boshaft vorgekommen, in diesem Moment über abgehackte Schwurhände und herausgerissene Zungen zu
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