Die Suendenburg
Siedlung kamen, dass ich, die Geraubte vom Bach, die letzte Trophäe ihres Feldzuges geworden bin. Agapet sah mich und entschied, dass ich leben sollte – als sein Eigentum. Während der vier Wochen, die ich mal laufend und mal auf einem Karren kauernd verbrachte, betrachtete er mich von seinem Ross aus wie eine Belohnung, die er sich in Ruhe gönnen wollte. Die meisten anderen in seinem Tross übersahen oder verachteten mich, einige wenige hätten mich gerne auf der Stelle genommen, wagten es jedoch nicht, mir auch nur nahe zu kommen. Als wir in den Hof der Burg einfuhren, zog Agapet mich höchstpersönlich an den Handgelenken vom Wagen, und oben auf der Treppe stand eine Frau, älter als ich, jünger als er, in einem schönen Gewand, das die Farbe geronnenen Blutes hatte, beinahe das Gewand einer Königin, und ich wusste, dass sie seine Frau war, und ich wusste, dass sie wusste, wer ich in Kürze sein würde. Seltsam war, dass sie mir einen entschuldigenden Blick zuwarf, so als würde nicht ihr Gemahl, sondern sie mir etwas antun. Und dann kam seine Tochter und umarmte ihn, doch er hatte fast nur Augen für mich. Laut genug, dass ein paar Umstehende es hören konnten, sagte er: Bringt dieses Weib heute Abend ins Bad, richtet sie mir gut her, hört ihr? Es folgten die neugierigen, ein wenig lästigen Blicke der einfachen Frauen, die mich herzurichten hatten, und dann – nach Agapets Tod – die geifernden Blicke der Wachen im Bad und dann der hasserfüllte Blick der stummen Alten, die seit meiner Ankunft immer wieder plötzlich und unerwartet wie ein Gespenst für wenige Augenblicke erscheint und verschwindet, und dann die Tochter Agapets, die mich mit Skepsis ansah, weil sie unschlüssig war, was sie von mir halten, wie sie mit mir umgehen sollte … Keiner dieser hundert Blicke hat mir irgendetwas Gutes, Tröstliches gegeben.
Und dann steht da unvermittelt dieser Mann im Raum, und alles ist anders.
Er hatte, als ich noch nackt auf dem Boden kauernd schlief, eine einfache Decke vom Lager genommen und damit meinen Körper bedeckt, denn ich war mir sicher, dass ich mir in der Nacht keine Decke mit vor das Fenster genommen hatte. Ich war nahe daran gewesen, ihm in seiner Sprache zu danken, doch ich tat es nicht. Stattdessen zog ich mir die Decke enger um die Schultern und nickte ihm knapp und vorsichtig zu.
Er lächelte mich auf eine Art an, die mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass er Anteil nahm an meinem Schicksal. Mein Verstand blieb misstrauisch, als mein Herz sich schon entschieden hatte, vertrauensvoll zu sein.
»Ich bin Malvin von Birnau, Vikar aus Konstanz, und das ist mein Schreiber, Bernhard.«
Er wies auf einen pickeligen jungen Mann, der mit einem Brett und einer Feder in Händen darauf wartete, dass ich etwas sagte.
»Der Titel des Vikars wird dir nicht viel sagen. Mancherorts bezeichnet er einen hohen Geistlichen, aber bei uns ist er ein Gerichtsvorsteher. Ich bin also so etwas wie ein Richter. Man hat mich beauftragt, die Wahrheit über den Tod des Grafen herauszufinden. Ein Teil der Wahrheit ist in deinem Besitz. Wie heißt du?«
Ich machte mir klar: Würde ich auch nur ein einziges Mal an der richtigen Stelle den Mund öffnen – ich musste noch nicht einmal etwas sagen –, dann wüsste er, dass ich seine Sprache verstand. Vertrauen und Verstand rangen miteinander. Um mich von diesem Kampf abzulenken, stand ich auf und bedeutete ihm, er möge mir mit der Decke einen Schutz geben, hinter dem ich mich ankleiden könnte. Er tat es.
»Sicherlich gibt es auch bei deinem Volk Richter«, sagte er auf der anderen Seite der Decke. »Du weißt also, dass sie möglichst unvoreingenommen urteilen. Ich jedenfalls bemühe mich sehr darum.«
Eine Weile war er still. Dann: »Kannst du mir sagen, ob du in deiner Heimat – bist du irgendwie gebunden? Ich meine, gibt es so etwas Ähnliches wie Mann und Frau bei euch? Eheleute? Oder anders gefragt – gehörst du einem Mann?«
Kurze Zeit später fragte er: »Welche Gefühle hattest du für Agapet? Hat er deine Ehre verletzt?«
Inzwischen war ich angezogen und trat hinter der Decke hervor. Nun, im Schutz meiner Bekleidung, sah ich den Mann zum ersten Mal in seiner Gänze an. In seinen schwarzen Gewändern und mit dem schwarzen Umhang, der ihm fast bis zu den Stiefeln ging, hätte er etwas Bedrohliches an sich haben können, wäre nicht sein Gesicht gewesen. Es war überraschend hell, ich meine damit nicht nur die Haut, ich meine den Ausdruck
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