Die Suendenburg
auf ein Papier, dass Orendels Rückkehr eine große Gefahr darstellen würde. Welchen Eindruck würde es auf den Vikar machen, wenn er erführe, dass die Gräfin ihren Gemahl Agapet viele Jahre lang belogen hatte, mehr noch, dass sie sich aktiv gegen seinen Willen gestellt hatte. Dass die Gräfin ihren Sohn und Erben hatte entführen lassen, würde nicht nur als eine Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit angesehen werden, sondern auch als weiterer Grund für einen Mord, denn die Sehnsucht nach dem eigenen Kind könnte übermächtig geworden sein.
»Das ist sie auch«, antwortete sie. »Sieben Jahre, Bilhildis. Mehr als zweitausend Tage, an denen ich ihm morgens den ersten Gedanken und abends den letzten Gedanken widmete, an denen ich zwanzig Mal täglich an ihn dachte. Kein Gottesdienst, in dem ich nicht dafür betete, dass es ihm gut ginge, kein Fest und kein Essen, bei dem ich mir nicht wünschte, er säße an meiner Seite. Und niemandem konnte ich mich anvertrauen, weder Elicia noch dem Beichtvater. Nur dir, Bilhildis. Du warst für mich da.«
Ja, Bilhildis, die Beichtmutter. In mich kippt man alle Schweinereien hinein, die man angerichtet hat, und kann sich sicher sein, dass sie dort auch bleiben. In meiner Kehle bleiben die Worte stecken, die ohnehin nichts gelten würden, weil ich eine Leibeigene, ein Nichts bin. Ich bin die Jauchegrube der Burg. Kommt her, werft es mir zu, Euer Vergorenes, Verschimmeltes, Verfaultes, Verschmutztes, Verstunkenes, Vergammeltes, Verfluchtes, Verruchtes, Verdammtes, Verschlammtes. Immer rein damit, kübelweise, im Vorbeigehen.
»Aber der größte Trost waren die Briefe, die du mir von Orendel gebracht hast. Ich habe sie alle aufbewahrt, trotz der Gefahr, dass Agapet sie entdecken könnte. Wenn ich mich allein gefühlt habe, waren sie mir Gesellschaft. Und nun sagst du mir, dass ich mich weiterhin mit ihnen begnügen soll? Nein, Bilhildis. Nein, das bringe ich nicht fertig. Ich weiß, du bist mir eine Freundin und meinst es gut …«
Ich habe die sogenannte Freundschaft der Gräfin nicht gesucht, sondern ertragen. Und ich habe es noch nie gut mit ihr gemeint. Es ist zwar richtig, dass die Gräfin von meinem Ratschlag profitierte – weil sie Orendels Auftauchen tatsächlich ins Zwielicht rücken und es Elicia in die Hände spielen würde –, aber das war Zufall. Mir ging es allein um mich.
Daher wandte ich mich an Aistulf. Er war der Einzige, der die Gräfin überzeugen konnte, denn er ist das Fundament ihres Glücks. Mit Raimund als meinem Sprachrohr unterbreitete ich Aistulf die Gefahren, die Orendels sofortige Rückkehr für die Gräfin und ihn bedeuten würden. Er ist ein kluger Mann, vielleicht der klügste Mensch in der Burg, weit klüger als ich, nur weit weniger schlau.
»Gut, dass du zu mir gekommen bist, Bilhildis. Du bist deiner Herrin die beste Dienerin, weil du sie vor ihren eigenen Schwächen beschützt.«
So erwarb ich mir ganz nebenbei sogar sein Vertrauen, das ich bis dahin nicht besessen hatte. Bis in meine Haar- und Fingerspitzen hatte ich fühlen können, dass er die Stellung, die ich bei der Gräfin genoss, umso skeptischer beäugte, je mehr er erfuhr, wie weit das Vertrauen der Gräfin in mich ging. Indem ich Aistulf von mir aus aufsuchte, nahm ich ihn für mich ein.
(Mir ist es einerlei, was er von mir denkt, aber man kann nie wissen, ob und wofür mir seine Huld noch einmal von Nutzen sein wird.)
Aistulf ging mit Raimund und mir zur Gräfin, und er verteidigte mich gegen ihre Vorwürfe, ich hätte treulos gehandelt, mich an ihn zu wenden. Nach kurzer Aufregung beruhigte sie sich und nahm mir mein Verhalten nicht mehr übel.
Zu viert hielten wir dann Rat, wie wir weiter vorgehen sollten. Gab es eine Möglichkeit, die Gräfin zufriedenzustellen, ohne den Vikar gegen die Gräfin aufzubringen? Das schien zueinander im Widerspruch zu stehen. Entweder kehrte Orendel zurück, oder er kehrte nicht zurück. Dazwischen gab es nichts.
Dazwischen gab es nichts? O doch. Und es war Raimunds Verdienst, dass wir die Lösung fanden. Er hatte tatsächlich eine Idee. Das kam nicht gerade oft vor und war eine Preziose aus dem Mund eines Mannes, der bisher immer von meinen Ideen profitiert hat. All die kleinen Betrügereien, mit denen er sich heimlich kleines Geld zusammenspart – um uns damit eines Tages freikaufen zu können –, sind nur winzige Triebe der großen Täuschungen und Niedertrachten, die auf meinem Mist gewachsen sind. Wenn es ums Geld geht, wird er
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