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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einem Zwinkern steckte er ihn mir an den Finger.
    MvB: Er hatte Euch also die königliche Kassette gezeigt, bevor er zum Feldzug aufbrach?
    E: Ja, kurz vorher. Die Preziosen waren von solcher Schönheit, dass ich mir nicht versagen konnte, ihn um den Ring zu bitten. Er nannte mich lachend ein gieriges Weibsbild und vertröstete mich auf das Ende des Sommers. Ich nahm es ihm nicht übel. Seine Feldzüge kosteten viel Geld, aber ich wusste, dass er sich bemühen würde, mir den Ring doch noch zu schenken. Wir hatten ein besonderes Verhältnis zueinander, das sich schwer in Worte fassen lässt. Er erkannte, dass ich so mutig und entschlossen war wie er, und wenn ich sein Sohn gewesen wäre … Aber wir sprachen über die Kassette, nicht wahr?
    MvB: Ja. Der Dolch war also Inhalt der Kassette, zusammen mit dem Ring?
    E: Ja, so war es. Wenn dieser Dolch mehrere Monate lang im Gemach meines Vaters offen auf dem Tisch gelegen hätte, hätte ich ihn dort bemerkt. Ich war gelegentlich dort, um Tuniken, die ich meinem Vater genäht hatte, auf sein Schlaflager zu legen.
    MvB: Wann zuletzt?
    E: Am Tag vor seiner Rückkehr. Ich hatte ihm eine königsblaue Tunika genäht, die ich zu den zwei anderen legte, die ich zuvor schon in sein Gemach gebracht hatte.
    MvB: Eure Mutter behauptet, sie habe den Dolch dort auf dem Tisch liegen sehen.
    E: Dann unterliegt sie einer Sinnestrübung.
    MvB: Oder sie lügt.
    E: Das habt Ihr gesagt.
    MvB: Es wäre eine Option. Zurück zum Abend des Mordes. Nach dem Tanz mit Eurem Vater habt Ihr das Fest verlassen. Wohin seid Ihr gegangen?
    E: In mein Gemach. Meine Zofen Frida, Franka und Ferhild haben mich zur Nacht umgekleidet. Dann sind sie gegangen, und ich habe mich schlafen gelegt.
    MvB: Ohne Euren Gemahl?
    E: Baldur ist immer einer der Letzten, die ein Gelage verlassen. Ich schlafe häufig allein. Ich meine – ich wollte sagen – ich schlafe häufig allein ein.
    MvB: Wie oft finden solche Gelage statt?
    E: Solche großen Gelage, bei denen die ganze Burg feiert, nur zwei- oder dreimal im Jahr. Aber Baldur ist Hauptmann der Wache, er sitzt oft mit seinen Männern bis spät in der Nacht beisammen. Sie würfeln und trinken und – was Männer so tun.
    MvB: Ihr habt Baldur also nicht mehr gesehen, bevor Ihr eingeschlafen seid?
    E: Falls Ihr andeuten wollt, er hätte etwas mit der Ermordung meines Vaters zu tun … Er hatte keinen Grund, ihn umzubringen. Baldur hat nur Nachteile von seines Schwiegervaters Tod. Sie kämpften seit Jahren Seite an Seite. Mein Vater hat ihm meine Hand gegeben, und er wollte ihn am Tag nach seiner Rückkehr an Kindes statt annehmen und damit zu seinem unbestreitbaren Nachfolger ernennen. Es ist fast so, als hätte mein Vater vorausgesehen, dass ein dahergelaufener Günstling sich der Burg und der Grafschaft bemächtigt.
    MvB: Aber Agapet hat Aistulf doch nicht weniger vertraut als seinem Schwiegersohn. Immerhin legte er ihm, dem Verweser, das Wohl des Landes anheim – und das seiner Familie.
    E: Aistulf mag ein guter Verweser sein. Aber wie weit das Vertrauen meines Vaters wirklich ging, könnt Ihr daran ermessen, dass Aistulf keinen Schlüssel zur Schatzkammer besaß, anders als meine Mutter.
    MvB: Baldur hatte ebenfalls keinen Schlüssel.
    E: Das hatte einen simplen Grund: Baldur war immer dann abwesend, wenn auch mein Vater abwesend war. Sie gingen stets gemeinsam auf Feldzug. Wozu hätte Baldur einen Schlüssel gebraucht?
    MvB: Ihr schlieft also allein ein. Was ist das Nächste, woran Ihr Euch erinnert?
    E: Die Schreie. Ich erwachte von den Schreien einer Frau. Sofort ergriff ich eine Fackel und lief in Richtung der Schreie. Ich fand die Ungarin in meines Vaters Gemach auf dem Boden kauernd vor, sie weinte, und im Bad schließlich … Schrecklich, ich mag nicht mehr daran denken.
    MvB: Ich nehme an, Euer Gemach ist nicht weit von diesem hier entfernt. Ist Euch trotzdem jemand auf diesem kurzen Weg begegnet?
    E: Seit ich verheiratet bin, sind meine und Baldurs Gemächer im gegenüberliegenden Flügel, dem Ostflügel, auf der anderen Seite des Hofes mit Blick zum Rhein. Ich musste den langen Verbindungsgang zwischen dem Ost- und dem Westflügel entlangrennen, aber mir ist dort niemand begegnet. Das Fest war noch in vollem Gang, die Männer feierten, und die Frauen bedienten oder – wie meine Mutter und ich – befanden sich in ihren Gemächern. Im Übrigen befinden sich die Kammern des Gesindes um den Vorhof herum, ausgenommen jene von Raimund, Bilhildis und meinen drei

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