Die Suendenburg
Familie des Täters zu arm ist, um etwas anbieten zu können. Den Reichen und Edlen einschließlich des Herzogs ist das Bußverfahren sehr lieb, und sie empfinden es als eine üble Einmischung, dass König Konrad, wie schon einige seiner Vorgänger, versucht, das Bußverfahren abzuschaffen und das Racheverfahren an seine Stelle zu setzen. Beim Racheverfahren urteilt nämlich ein unabhängiges Gericht und setzt ein Strafmaß nach eigenem Gutdünken fest. Die einflussreichen Sippen fürchten, dass ihre Söhne allzu oft für ihre Übeltaten gehenkt werden.«
»Und welches Verfahren wird gegen den Mörder meines Vaters eingeleitet?«
»Es steht mir frei, darüber zu entscheiden. Wir haben derzeit die merkwürdige Konstellation, dass der Herzog auf Bußverfahren beharrt, während der König auf Racheverfahren besteht. Die Folge ist, dass wir beides anwenden, je nach Fall. Sollte die Ungarin die Täterin sein, was ich nicht glaube …«
»Ihr haltet die Ungarin nicht für schuldig?«
»Nein.«
»Das ist eine gute Nachricht«, sagte ich hochzufrieden.
»Bitte bedenkt, dass ich nur meine Meinung nach heutigem Stand geäußert und nicht das abschließende Urteil gefällt habe. Falls die Ungarin die Täterin ist, verhält sie sich ziemlich töricht, da sie bekräftigt, dass sie keinem anderen lebenden Menschen als Raimund und Bilhildis im Gemach des Grafen beziehungsweise im Bad begegnet war. Damit belastet sie sich im Grunde selbst, das weiß sie, und ebendies macht mich stutzig. Wenn sie die Mörderin wäre, würde sie entweder versuchen, sich mit falschen Aussagen zu entlasten, oder zu der Tat stehen. Aber sie tut weder das eine noch das andere. Das spricht für sie. Trotzdem hilft ihr das wenig, solange kein anderer überführt werden kann.«
»Ich glaube, Aistulf hat meinen Vater getötet, um das zu werden, was er inzwischen geworden ist – oder besser, zu dem er sich gemacht hat. Aber ich verstehe natürlich, dass das für Euch nicht mehr als eine leere Beschuldigung ist. In Euren Augen bin ich nicht weniger verdächtig als Aistulf, und deswegen bitte ich Euch, mich zu verhören.«
Er lachte. »Eine solche Bitte ist mir noch nicht untergekommen. Gewöhnlich erzittern die Menschen, wenn ich von Verhören spreche.«
»Bitte verhört mich, so lange Ihr wollt, haltet Euch nicht zurück, unterstellt mir das Allerschlimmste, und wenn das vorüber ist und Ihr zum Schluss gekommen seid, dass ich die ruchlose Tat nicht begangen habe, dann nehmt Euch Aistulfs an.«
Er lächelte. »Ihr seid eine sehr kampfeslustige Frau, Elicia von Breisach.«
»Ich bin Agapets Tochter.«
Protokoll eines Verhörs unter Ausschluss von peinlichen Befragungsmitteln
Befragte: Elicia von Breisach, Tochter des Ermordeten
Anwesend: Malvin von Birnau, Vikar; Bernhard vom Teich, Gerichtsschreiber
MvB: Erzählt mir von dem Abend vor dem Mord. Beginnt mit dem Gelage.
E: Ich hielt mich nur kurz dort auf. Mein Vater sieht – er sah es nicht gerne, wenn die Frauen der Burg lange bei Gelagen anwesend waren, ausgenommen die weiblichen Bediensteten. Die Männer lassen sich dort zu späterer Stunde gehen, der Wein macht sie allzu unbefangen. An jenem Tag kamen sie von einem kräftezehrenden, erfolgreichen Feldzug zurück und hatten sich einen ausgelassenen Abend verdient. Diese Feste am Ende des Sommers haben sich in den vergangenen Jahren zu einer Tradition entwickelt und laufen immer nach demselben Muster ab. Ich wusste, wann ich mich zu verabschieden hatte. Das war gleich nach dem Tanz mit meinem Vater.
MvB: Brachte Euer Vater viele Schätze mit?
E: Einen ganzen Wagen voll erbeuteter Waffen und Werkzeuge, Schätze würde ich das nicht nennen.
MvB: Er brachte auch ein ungarisches Weib mit.
E: Ich habe sie kaum wahrgenommen.
MvB: Wann habt Ihr mit Eurem Vater sprechen können?
E: Bei seiner Ankunft in der Burg war der Tumult zu groß gewesen, um mehr als eine Umarmung von ihm zu bekommen. Aber am Abend konnten wir endlich reden. Er forderte mich im Burghof zum Tanz auf und fragte, wie es mir ergangen sei, und ich erkundigte mich nach seinen Erlebnissen. Wir kamen dann auch auf die königliche Kassette zu sprechen.
MvB: Wie das?
E: Ich fragte ihn, ob sein Feldzug erfolgreich gewesen war. Er bejahte dies. Daraufhin sagte ich: Dann wirst du dich an dein Versprechen halten, das du mir vor einem halben Jahr gegeben hast, und mir den Ring schenken? Er lachte und sagte: Ihr Frauen seid wie Elstern – wenn etwas glitzert, wollt ihr es haben. Mit
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