Die Suendenburg
Flut, während die Rufe von Baldur und seinen gegen das Wasser kämpfenden Mannen vom Tal her erschallten und während Elicia – so malte ich mir aus – in ihrem Sündenbett seufzte und stöhnte. Norbert hatte von mir die Anweisung erhalten, es wieder und wieder zu tun. Oh, was für eine Nacht, die durchwoben war von Schreien, welche in meinem Ohr zusammenliefen und verschmolzen, Hilfeschreien der Demut, der Lust und des Kampfes, die alle in die gleiche Finsternis unter dem Himmelszelt aufstiegen: Herr, vergib uns unsere Sünden, Herr, lasse diese prächtige Nacht nicht enden, ohne mir einen Sohn geschenkt zu haben, Herr, gib unseren Händen Kraft, den Damm gegen die Flut zu halten. Immer lauter wurden die Gesänge, immer verzweifelter das Kampfgeschrei aus dem Tal und immer machtvoller die Stöße in meiner Vorstellung.
Norbert war erfolgreich gewesen, das las ich in Elicias Miene, doch ich fragte nicht nach, und sie redete nicht von sich aus. Von nun an wird sie so tun, als hätte es unsere kleine Verschwörung nie gegeben. So ist Elicia. Sie vergisst und verdreht gerne.
Baldurs Mannen und die Gebete haben Argotlingen und ein paar wichtige Wege vor den Fluten gerettet. Ich habe von der sehnsuchtsvollen, ungeduldigen Gräfin den Auftrag erhalten, mich mit Raimund auf den Weg zu Orendel zu machen, und da es meinem Bein nun auf wundersame Weise wieder besser geht, breche ich noch in dieser Stunde auf, um ein weiteres Kapitel zu beginnen.
Malvin
Dass so etwas entstehen kann, hier, in dieser Zeit voller Schrecken! Wie ist das möglich? Ich dachte immer, es gäbe so etwas wie eine Sicherheit. Dass ein einzelnes Wort mir nicht mehr aus dem Kopf geht: Elicia. Wer ist sie überhaupt? Ich weiß fast nichts von ihr. Sie ist einfach da. Ich sehe sie an, und ich möchte nirgendwo anders sein als dort, wo mein Blick den ihren trifft.
Ich hatte mir verboten, sie nach meiner unglücklich verlaufenen Befragung wiederzusehen. Zumindest nicht, wenn wir allein wären. Ich hatte sie nach ihrem Zusammenbruch auf das Schlaflager ihres Vaters gebettet, während mein Schreiber ihre stumme Dienerin holte. Wir waren allein gewesen. Sie war halb erwacht, hatte mich auf eine äußerst dankbare – wie mir schien, verführerische – Weise angesehen, und ich, von oben auf sie hinabblickend, hätte sie am liebsten geküsst. Wir sagten kein Wort. Dann kam auch schon die stumme Alte.
Einige Tage lang hielt ich mich an das mir auferlegte Verbot. Ich befand mich täglich in der Nähe ihres Gemachs, stand vier oder fünf Mal vor ihrer Tür, hätte ein Mal beinahe angeklopft, aber wie schon bei unserem Augenblick sagte ich mir gerade noch rechtzeitig: Sie ist verheiratet, du hast eine Stellung, du hast eine Mission zu erledigen, du musst unvoreingenommen bleiben, dich zurückhalten.
Gott weiß, dass ich es versucht habe.
Ich kann nicht weiter darüber schreiben, nicht jetzt. Die Scham ist zu groß. Seit heute trage ich das Geschriebene stets bei mir, damit weder mein Schreiber noch sonst jemand es zufällig finden und lesen könnte. Es befindet sich unter meinem Gewand auf der linken Brustseite, wo es raschelt.
Der Fluss stieg an, er überschwemmte Dorf um Dorf, wie es offenbar seit vielen Generationen, vielleicht seit jeher, in diesen Landen geschieht. Er breitete sich immer mehr aus, ins Endlose, und keine Gewalt der Erde schien ihn aufhalten zu können. Aistulf berief eine Besprechung ein, an der die Gräfin, Baldur und Elicia teilnahmen und zu der ich mich selbst einlud.
Aistulf sagte: »Ich will, dass wir einen Damm bauen, und zwar von hier bis dort.« Er fuhr mit seinem Zeigefinger quer über eine Zeichnung, die er angefertigt hatte.
Baldur sah ihn ungläubig an. »Warum?«
»Aus dem einzigen Grund, weil wir Menschen großen Spaß daran finden, im Dreck zu wühlen, Baldur. Herrgott, was ist denn das für eine Frage. Mit dem Damm schützen wir das letzte Dorf, das noch nicht untergegangen ist, unser Argotlingen. Für die anderen Dörfer konnten wir nichts tun, die Flut kam zu schnell, aber dieses Dorf westlich des Flusses und der entsprechende Versorgungsweg können noch erhalten werden.«
»Wozu? Das Dorf hat kaum Ertrag.«
»Du hast ebenfalls kaum Ertrag, und trotzdem würde ich dich nicht absaufen lassen.«
»So, meinst du? Und wer, bitte, soll den Damm bauen?«
»Ich dachte da an die vier Erzengel, unterstützt von ein paar Gnomen aus dem Wald.«
»Bekomme ich eine ernsthafte Antwort?«
»Die Bauern werden
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