Die Suendenburg
noch nie um Auskunft gebeten und werde heute ganz bestimmt nicht damit anfangen. Ich will ihr, wenn es auf das Ende zugeht, nichts schuldig sein, nicht den allerkleinsten Gefallen, gar nichts. Nur das, was mir zusteht: ihr Leben.
Nun zu meiner Reise. Gewiss, sie war anstrengend. In meinem Alter sitzt man nicht straflos zehn Tage lang auf einem holprigen Karren und lässt sich auf den schlechten Wegen, die hundertmal älter als ich sind, durchschütteln. Wäre ich als Fass Sauerrahm abgefahren, wäre ich jetzt steinharte Butter. Ich spüre jeden Knochen, selbst solche, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt. Und dann die Leute, die man zwangsläufig in den Wirts- und Gasthäusern trifft – grässlich. Die meisten von ihnen sind Pilger, die nun, im Herbst, aus Rom zurückkehren, wo sie himmlische Reichtümer erwartet, aber betrügerische Händler und geldgierige Bettelmönche vorgefunden haben und wo sie in den Schlafsälen der Pilgerquartiere, in denen sie des Nachts bestohlen wurden, den Glauben an das Gute im Menschen verloren, aber dafür die Krätze bekommen haben. Mit solchen Leuten zusammensitzen zu müssen ist ekelhaft. Nicht wegen der Krätze, sondern wegen des Leuchtens in ihren Augen, weil sie glauben, sich mit ihrer Pilgerfahrt ein Pfund verdient zu haben, mit dem es sich dereinst vor den Allmächtigen treten lässt, so als kassiere er Eintrittsgeld wie der Besitzer eines Wanderzirkus. Die meisten von ihnen wirken wie leicht berauscht, dabei haben sie Flöhe auf dem Kopf, und ich will nicht wissen, wo sonst noch. Sie haben Grinden auf den Händen, blutige Füße und von Räubern ausgeschlagene Zähne, die sie im Beutel mit sich herumtragen, den sie noch ins Grab mitnehmen werden als Beweis für den Wanderzirkusgott, und überdies haben sie kein Geld mehr für Brot und Bier und wollen, dass ich – ICH! – ihnen welches ausgebe. Ihr Glück, dass ich stumm bin, sonst hätte ich ihnen einiges gesagt, was sie bis ans Lebensende nicht vergessen hätten. So aber beschränkte ich mich auf Gesten mit Armen, Händen und Fingern, die sie nicht verstanden und von denen Raimund ihnen weismachte, sie seien Ausdruck meiner Bewunderung. Und was mein eindeutiges Mienenspiel anging, so behauptete Raimund vor den Leuten, dies sei mir so angeboren, und das glaubten diese Toren. Später, auf dem holprigen Wagen, lachten Raimund und ich, bis uns der Bauch wehtat. Das sind Momente, in denen ich anfange, ein bisschen an Raimund zu hängen. Glücklicherweise dauern sie nie sehr lange.
Der alte Sack!
Als ich auf dem kleinen Gehöft ankam, hockte Orendel wie üblich wie ein flügellahmes Taubenküken in seinem Verschlag. Er hat dort einen Baumstumpf zum Draufsetzen, einen zweiten Baumstumpf mit einer Tischplatte darauf, eine Pritsche mit Stroh zum Schlafen und ein kopfgroßes Loch in der Mauer zum Rausgucken. Er tut nichts anderes dort drin als schreiben und in der Nase bohren, am liebsten beides gleichzeitig. Was soll er auch sonst tun? Ich habe den Bauersleuten vor sieben Jahren eingebläut, dass ihre Kinder nicht mit Orendel spielen dürfen, so wie Agapet einst Orendel und Elicia verboten hatte, mit den Kindern des Gesindes zu spielen, einschließlich meinen. Anfangs guckten diese vier hässlichen, dreckigen Bauernbälger noch manchmal durch das Loch in den Pferch hinein, wie mir Orendel bei meinen Besuchen erzählte; die einen sprachen mit ihm, die anderen lachten über ihn, was Orendel nicht störte, denn er war über jede kleine Abwechslung dankbar, selbst wenn sie ihn kränkte. Er begann, ihnen Geschichten zu erzählen, die er erfunden hatte. Aber nach einer gewissen Zeit fand er sein Talent wohl an die Drecksbälger verschwendet und zog es vor, seine Geschichten auf das Lumpenpapier, das ich ihm gab, niederzuschreiben. Daraufhin verloren die Bälger das Interesse an ihm, weil Orendel ihnen nichts mehr zu erzählen hatte und stumm wurde, stumm wie die Sau im Stall. Es wurde zunehmend ruhig um ihn. Man brachte ihm morgens eine Schale Hafergrütze und abends das, was gerade so verfügbar war – eine Scheibe Brot, einen Apfel, eine Möhre, ein Stück Trockenfleisch oder Salzfisch, ein daumengroßes Stück Käse oder, wenn gar nichts anderes da war, eine weitere Schale Hafergrütze. Ich brachte den Bauersleuten immer dann, wenn ich zu Besuch kam, das Verpflegungs- und Schweigegeld für die nächsten Monate. Die Gräfin gab mir stets, wenn ich zu Orendel aufbrach, zwei Goldstücke mit, womit er hätte ausgiebig
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