Die Suendenburg
noch, die Gräfin lebte durch die Briefe, die ich ihr zwangsläufig unter Orendels Namen schrieb, im Glauben, ihm gehe es prächtig, und das steigerte ihr Glück, anstatt es zu vernichten. Die Wahrheit konnte ich ihr nicht schreiben, ohne mich selbst zu gefährden, und die Lüge war bestes Seelenfutter für meine Feindin. Das war eine Klemme, aus der nur Orendels Tod mich befreien konnte, sei er nun von Gevatter Winter oder Gatte Raimund herbeigeführt.
Wieso also nickte ich nicht? Weil ich da schon das Trotzige, Harte in Orendels Gesicht gesehen hatte, von dem ich sprach. Und das brachte mich auf eine ganz andere Idee. Wie wäre es wohl, diesen Jungen für mich zu gewinnen, ihn der Gräfin sozusagen zu entwinden, ihn nach meinem Belieben zu formen, ihn zu meiner Kreatur zu machen, nur zu dem einen und einzigen Zweck, der Gräfin eines Tages zu berichten oder sonst wie vor Augen zu führen, was aus dem Sohn von einst geworden war und wie sehr er seine Mutter hasste. Von diesem neuen Plan war ich dreimal stärker angetan als von dem alten, vor allem, weil der Grad des Schadens, den er anrichtete, höher sein würde, als wenn Orendel einfach nur gestorben wäre. Es ist leichter zu verwinden, einen Menschen an den Tod zu verlieren als an den Hass, denn mit Trauer und Traurigkeit lässt sich leben lernen, wohingegen das Gefühl, von jemandem, den man liebt, zutiefst verabscheut zu werden, sich jeden Tag aufs Neue ins Innerste des Herzens bohrt und dort sein langsames, qualvolles und vor allem unheilbares Vernichtungswerk tut. Kein Trost der Welt ist stark genug, sich den größten Fehler des Lebens zu vergeben, wenn er dazu führte, dass das Geliebte durch eigenes Zutun zerstört wurde. Ich war mir nach einem Blick in Orendels Augen sicher, dass es mir gelingen würde, ihn dorthin zu bringen, wo ich ihn haben wollte, allerdings nur um den Preis, dass meine Vergeltung noch eine Weile warten musste. Ich zahlte zähneknirschend, aber ich zahlte.
Von jenem April vor sechseinhalb Jahren an bemühte ich mich um Orendel, mimte wieder die gute Amme und schüttete ihm nach und nach jenen reinen Wein ein, der in Wahrheit eine trübe Giftbrühe aus meiner eigenen Küche war. Ich änderte meine Absicht, keine Briefe der Gräfin an Orendel zu übergeben, dahingehend, dass er zwar Briefe seiner Mutter erhielt, diese jedoch aus meiner Feder stammten. Beklagte Orendel sich über seine Unterbringung, antwortete »die Gräfin« ihm, er solle sich nicht so anstellen, schließlich habe sie ihn vor dem Krieg bewahrt, und schrieb Orendel daraufhin, dass er lieber ins Kloster ginge, als in einem Hühnerpferch zu leben, bestand die Reaktion »der Gräfin« darin, ihm zu schreiben, dass es wichtig gewesen sei, Orendels selbstherrlichem, tyrannischem Vater eine Lektion zu erteilen, dass es nicht immer nach seinem Kopf gehe.
Orendel konnte kaum glauben, was er da las, fragte immer wieder bei mir nach, was im Kopf seiner Mutter vorgehe, die früher so gutherzig war, und so ließ ich mir »die Wahrheit« nach und nach wohldosiert aus der Nase ziehen. Ich schrieb ihm Zettel: dass die Gräfin Claire nur noch ein Ziel habe, nämlich Rache an Graf Agapet zu nehmen, der sie unglücklich mache, und dass ihr dafür jedes Mittel – und jedes Kind – recht sei. Gewiss, das war dick aufgetragen, im Grunde unglaubwürdig. Doch jeder herzlose Brief, jede lieblose Antwort »der Gräfin« und jedes schlechte Wort meinerseits über die Gräfin war wie ein Katapultgeschoss gegen das Bollwerk von Orendels Überzeugung, eine wohlmeinende Mutter zu haben. All die Monate im Verschlag und der zweite Winter taten ihr Werk bei Orendel, und sein Widerstand gegen die Vorstellung, seine Mutter sei eigentlich ein selbstsüchtiger, rücksichtsloser Mensch, wurde durch die Gegebenheiten und die Lügen zum Einsturz gebracht.
Zugleich nahmen mein Ansehen und meine Wichtigkeit bei Orendel zu. Mehr und mehr schüttete ich ihm – tausend Zettel schreibend – mein Herz aus, gestand ihm, wie sehr mir die Aufträge der Gräfin widerstrebten, dichtete der Gräfin eine Liebschaft und so mancherlei anderes an, was dazu taugte, sie langsam in ein Ungeheuer zu verwandeln. Und ich schilderte Elicias Empörung über den neuen Lebenswandel der Mutter. Dass ich damit einiges von dem vorwegnahm, was dann später tatsächlich eintrat, war Zufall. Ich gebrauchte lediglich meine Erfindungsgabe, jammerte und klagte, was das Zeug hielt, und errang die Stellung einer Leidenskameradin und
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