Die Sündenheilerin (German Edition)
Wäre das alles auch geschehen, wenn sein eigener Vater nach Birkenfeld zurückgekehrt wäre?, fragte sich Philip. Immer wieder stellte er sich diese Frage. Hätte Otto seinen Jugendfreund Theodrich von Limbach vor dem Weg in die Ehrlosigkeit bewahren können? Wie viel Schuld lud ein Mann allein dadurch auf sich, dass er nicht da war, wenn er gebraucht wurde?
»Das war’s für heute. Und nun auf nach Birkenfeld!« Als Philip die höhnische Stimme hörte, fuhr er herum. Ulf von Regenstein. Natürlich, er hatte ebenso ein Anrecht, auf der Ehrentribüne zu sitzen, wie die anderen Edlen.
»Ah, Herr Ulf.« Auch Johann von Hohnstein hatte sich umgewandt. »Ich habe Euch gar nicht bemerkt. Seid Ihr schon lange hier?«
»Lange genug, Herr Johann. Ihr scheint verwirrt. Hat Euer künftiger Schwiegervater Euch nicht erzählt, dass er seine Vasallen zusammengerufen hat, um gegen Birkenfeld zu ziehen?«
»Doch, das hat er. Ich bin nur überrascht, dass Ihr Euch dem Zug anschließen wollt. Der Fürst braucht kampferprobte Männer, keine Verletzten. Oder wollt Ihr wieder Euren Sohn schicken? Vielleicht könnte er uns nützlich sein, wenn er sich auf Burg Birkenfeld als Torwächter verdingt.«
»Ihr habt in letzter Zeit ein loses Mundwerk, Hohnstein. Der Ägypter ist ein schlechter Umgang für Euch. Aber das hat sich ja bald erledigt.«
Der Regensteiner erhob sich und verließ die Tribüne. Lena hatte sich inzwischen aus Philips Armen gelöst.
»Birkenfeld soll belagert werden?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Johann. »Es wurde gestern beschlossen, nachdem Graf Dietmar sich zum zweiten Mal weigerte, dem Ruf des Fürsten Folge zu leisten. Deshalb ist der Regensteiner so guter Dinge. Wäre er kein solcher Hohlkopf, wüsste er, dass Herr Philip der nächste Anwärter auf das Lehen ist.«
»Ich?« Philip starrte Johann an. »Ihr wisst, dass ich nach Ägypten zurückkehren werde, wenn dies alles hier vorbei ist.«
»Und das Erbe Eures Vaters wollt Ihr Ulf von Regenstein in den Rachen werfen? Nein, das tut Ihr doch niemals.«
»Gewiss nicht«, mischte sich Schwester Margarita ein. Konnte die Nonne nicht wenigstens einmal den Mund halten? »Herr Philip kann es gar nicht zulassen, dass die armen Bauern von Alvelingeroth dem Regensteiner unterstehen. Es genügt schon, dass sein Bruder in Blankenburg wütet.«
»Schwester Margarita, ich …«, setzte Philip an, doch sofort fuhr die Nonne ihm über den Mund.
»Ihr seid der Richtige, denn Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck und den Mut, diesem Regensteiner Pack die Stirn zu bieten. Vermutlich wäre es gar nicht so weit gekommen, wenn Euer Vater nicht in Ägypten geblieben wäre, aber das lässt sich nicht mehr ändern. Ihr habt geradezu die Pflicht, sein Erbe anzutreten.«
»Auf meine Unterstützung könnt Ihr dabei zählen«, versicherte Johann sogleich. »Und Fürst Leopold wird sich freuen, wenn Ihr Euch der Verantwortung stellt.«
Philip schluckte. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen, aber Schwester Margarita hatte seinen alten Schuldgefühlen neue Nahrung gegeben.
Konnte er wirklich so ohne Weiteres nach Alexandria zurückkehren? Sein Vater hatte sich damals der Verantwortung entzogen und sich für die Liebe entschieden. Hatte Gott ihn deshalb durch die Hand seines Sohnes sterben lassen? Was wäre geschehen, wenn sein Vater vor einem Jahr nicht gestorben wäre? Said hätte vermutlich um Sophia geworben und er selbst sein Leben weiterhin mit leichtfertiger Tändelei verschwendet. Lena wäre längst tot, und er hätte nie von ihr gewusst. Hätte niemals diese unvergleichliche Liebe empfunden, die es seiner früheren Meinung nach nur in erfundenen Geschichten gab. Barbarossas Bande hätte weiter gemordet und der Regensteiner auf neue Gelegenheiten gelauert, sich der Burg Birkenfeld zu bemächtigen. Aber wenn er Birkenfeld erst einmal hätte, wie ginge er wohl mit den Menschen um, die dann seiner Willkür ausgeliefert wären? Vermutlich so wie mit den Händlern auf dem Markt vor dem Turnier. Nein, das konnte er nicht zulassen.
»Ihr hattet recht, Johann«, sagte er zu Hohnstein. »Ich werde die Burg meiner Väter niemals den Regensteinern überlassen.«
Nun war es ausgesprochen. Wie damals, als er ihm verraten hatte, dass er um Lenas Hand anhalten wollte. Es gab kein Zurück mehr.
»Du hast vor, das Erbe deines Vaters anzutreten?« Said schrie es regelrecht heraus. Rastlos rannte der Araber in der Kammer auf und ab. »Du willst nicht nach Alexandria
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