Die Sündenheilerin (German Edition)
Wie der Fluss sei Elise gewesen. Graf Dietmars Worte berührten sie noch immer tief, sein Schmerz erweckte mehr Mitleid in ihr als Elises Leid.
Sie fand die Gräfin wie üblich in ihrer Kemenate, doch schien Elise überrascht, Lena zu sehen.
»Ihr?«, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.
»Es tut mir leid, dass ich Euch in den vergangenen Tagen nicht zur Seite stehen konnte.« Lena setzte sich auf den Stuhl der Gräfin gegenüber. Sie sah die Hände der Gräfin, deren Finger sich unruhig ineinander verschlangen und wieder lösten. So wie beim allerersten Mal.
Sie hat Angst, dachte Lena. Einfach nur Angst. Wovor?
Die Gräfin schluckte, einmal, zweimal, dann räusperte sie sich.
»Mein Gatte erzählte mir, wer Ihr wirklich seid.« Nie zuvor hatte Elises Stimme so rau geklungen. »Ihr seid Martins Witwe.«
Lena hielt dem Blick der Gräfin stand, bis Elise die Lider senkte.
»Ist das für Euch von Bedeutung, Frau Elise?«
Unter einem Peitschenschlag hätte die Gräfin nicht heftiger zusammenzucken können.
»Wie könnt Ihr fragen? Natürlich ist es das.«
»Warum?«
Elises Finger verknoteten sich in immer kürzeren Abständen ineinander, ihre Lider flatterten.
»Ich habe Euch unrecht getan«, flüsterte sie. »Verzeiht mir, wenn Ihr könnt, Frau Helena.«
Weshalb bat die Gräfin sie um Vergebung? Für all die Kämpfe, die sie ausgefochten hatten? Oder weil sie Martins Namen genannt hatte?
»Ich habe Euch nichts zu verzeihen, Frau Elise. Ich kam, Euch zu helfen.«
Ein lauter Aufschrei, und Elise sank zu Boden. Lena sprang auf, wollte sie halten, doch es war gar kein Anfall. Die Gräfin war auf die Knie gefallen. »Gütiger Herr im Himmel, welche Strafe willst du noch auf mein Haupt herabrufen?« Sie schlug sich gegen die Brust und hätte ihr Gewand zerrissen, wenn Lena ihr nicht die Hände festgehalten hätte.
»Was ist mit Euch, Frau Elise?«
Der Blick der Gräfin war wirr und seelenlos, als hätte sie den Verstand verloren. Ihre Lippen formten Worte, die Lena nicht verstehen, nur erraten konnte. Ein stummes Gebet, fernab der Wirklichkeit. Elises Atem ging immer rascher, sie keuchte. Noch immer hielt Lena die Handgelenke fest umklammert, spürte das Zucken, das Elises Leib durchlief. Sofort warf sie sich über die kranke Frau, um sie zu halten, fühlte die bösen Kräfte, die Elises Körper schüttelten. Doch zugleich bemerkte sie, wie Elise sich beruhigte, fast so, als nehme Lenas Nähe ihr etwas von dem Schmerz. Kein Schrei drang über ihre Lippen, und nach wenigen Augenblicken war alles vorbei. Lena vernahm einen tiefen Seufzer, als die Gräfin sich entspannte.
»Verzeiht mir«, flüsterte sie noch einmal. Vorsichtig löste Lena ihren festen Griff.
»Ich habe Euch nichts zu verzeihen.« Sie versuchte Elise hochzuziehen, doch diese verharrte auf den Knien.
»Ihr sprächet anders, wenn Ihr die Wahrheit wüsstet.«
»Die Wahrheit?«
Elise verbarg das Gesicht in den Händen.
»Geht, Frau Helena, ich bitte Euch. Geht.« Der Leib der Gräfin zuckte erneut, doch es war kein Anfall, nur ein heftiger Weinkrampf.
»Nein«, sagte Lena leise, sank selbst auf die Knie und legte der Gräfin die Hände auf die Schultern. »Ich bleibe bei Euch.«
Elises Schluchzen wurde immer heftiger, verzweifelter. Trotz aller Stärke spürte Lena, wie das fremde Leid ihr selbst die Tränen in die Augen trieb. Sie blinzelte. Keine Schwäche, nicht jetzt. Die Tränen verschwanden, die Stärke blieb.
Irgendwann beruhigte Elise sich. Erstaunen lag in ihrem Blick, als sie Lena ebenfalls auf Knien sah.
»Ihr solltet Birkenfeld verlassen«, flüsterte sie. »Ihr werdet mich hassen.«
»Wiegt Eure Schuld so schwer?«
Elise senkte den Kopf. Kein Wort verließ ihre Lippen. Lena wartete geduldig. Auf dem Fenstersims ließ sich ein Rotkehlchen nieder, doch kaum schaute Lena zu dem kleinen Vogel, da flog er schon davon wie ein Gedanke, den man nicht halten kann. Die Gräfin schwieg noch immer.
»Woher kanntet Ihr Martin?«, versuchte Lena das Schweigen zu brechen. Elise begann zu zittern.
»Ihr wart seine Braut, Frau Helena. Ihr müsstet es doch wissen.«
»Was müsste ich wissen?«
»Wer er war.«
Irgendetwas in Elises Blick hatte sich verändert. Noch immer waren Verzweiflung und Scham zu erkennen, aber dahinter entdeckte Lena Verärgerung. Sie beschloss, nicht darüber hinwegzugehen.
»Was ärgert Euch, Frau Elise?«
»Wisst Ihr es wirklich nicht? Hat er es Euch nie erzählt?«
Lena schüttelte den Kopf. Wovon
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