Die Sündenheilerin (German Edition)
Martin?«
Die Gräfin starrte Lena aus weit aufgerissenen Augen an. »Wie könnt Ihr so etwas nur sagen?«
»Ist es wahr?«, beharrte Lena.
Plötzlich sprang Elise auf. »Geht, ich bitte Euch, geht sofort! Verlasst mich, verlasst Birkenfeld! Ihr müsst gehen.«
Lena stand auf. Sie hatte Feindseligkeit erwartet, doch alles, was sie sah, war Angst. Mehr Angst, als ein Mensch ertragen konnte. Plötzlich schämte sie sich. Sie war zu weit gegangen. Nein, es konnte nicht wahr sein. Martin hätte das nie getan. Martin hatte sie geliebt. Wie hatte sie sich nur zu so etwas hinreißen lassen können?
»Ich werde für heute gehen, Frau Elise. Weil Ihr es wünscht. Aber ich werde Birkenfeld nicht verlassen. Ihr braucht mich noch.«
»Ihr ahnt nicht, worauf Ihr Euch einlasst. Bitte, hört auf mich und geht! Reist morgen ab. Ich flehe Euch an.« Die Gräfin griff nach Lenas Händen, zaghaft und fest zugleich. Ihr Blick durchbohrte Lena voller Panik.
»Ihr habt Sorge, ich könnte Euch verraten? Ich werde mit niemandem darüber sprechen, was Ihr mir anvertraut.«
»Ich habe kein Geheimnis. Hütet Euch, Gerüchte über mein Kind in die Welt zu setzen! Ihr ahnt nicht, welche Folgen das hätte. Weniger für mich, vielmehr für Euch.«
Die Worte hätten eine Drohung sein können, doch die Verzweiflung, mit der sie ausgestoßen wurden, verriet eine andere Sprache. Elise hatte Angst.
»Ich habe nicht die Absicht, Euer Kind zum Bastard zu erklären. Ich will Euch helfen, aber das kann ich nur, wenn Ihr offen zu mir sprecht.«
»Ich will Eure Hilfe nicht länger. Sie ist ohnehin wertlos. Geht, Frau Helena!« Diesmal war die Schärfe wieder da, allerdings war sie nur vorgeschoben. Dahinter loderte nach wie vor die Furcht.
Wortlos verließ Lena die Stube der Gräfin. Sie brauchte frische Luft und Ruhe, ihre Gedanken zu ordnen. War sie auf der falschen Spur? Wie gern hätte sie die Frage bejaht, doch dazu war Elises Verhalten zu auffällig. Aber passte es zu Martin? Hätte er sich mit Elise eingelassen? Und wenn ja, warum? Gewiss, Elise war eine schöne Frau, gleichwohl, es gab manch hübsche Magd in den Badehäusern, mit denen ein Mann sich ungefährlicher vergnügen konnte. Hatte er Elise geliebt? Hatte er deshalb nie von seiner Abkunft gesprochen?
Ob Vater wusste, wer Martin wirklich war?, fragte sich Lena. Ihr Vater hatte Martin in sein Haus gebracht. Es war ihm recht gewesen, dass Lena Gefallen an ihm gefunden hatte. Die Ehe war recht schnell angebahnt worden, auch Martin war ihr gegenüber stets liebevoll und fürsorglich gewesen, nachsichtig ihren Kapriolen gegenüber, die so gar nicht schicklich waren, die aber schon ihr Vater geduldet, ja sogar heimlich gefördert hatte. Wenn sie bei Tischgesprächen das letzte Wort behielt und ihre Zunge nicht im Zaum halten konnte. Ihr Vater hatte jedes Mal gelacht. Genau wie Martin.
»Sei froh um deine willensstarke Braut«, hatte ihr Vater ihm immer wieder gesagt. »Sie wird dir den Rücken stärken.« Und Martin hatte ihm zugestimmt und Lena sein unwiderstehliches Lächeln geschenkt. Eine vermittelte Ehe, in der sich beide Seiten derart viel Zuneigung entgegenbrachten, war ein Glücksfall. Sie hatte Martin geliebt und war sich sicher gewesen, dass auch er sie geliebt hatte.
Einmal hatte sie ihn jedoch dabei ertappt, wie er mit einer Magd geschäkert hatte. Es war nichts weiter passiert, doch es hatte sie wie ein Pfeil getroffen. Ihrer Mutter war es nicht entgangen. »Nimm es nicht so schwer«, hatte sie gesagt. »Einen Mann kann erst die Ehe zähmen. Alles, was davor geschieht, ist nur ein Zeitvertreib. Es hat keine Bedeutung.«
»Aber wie kann er mich lieben, wenn er mit einer anderen scherzt?«
»Kennst du nicht den Unterschied zwischen Liebe und Begehren?«, hatte ihre Mutter sie gefragt. »Einen leckeren Apfelkuchen begehrst du, aber würdest du sagen, du liebst ihn? So ist es mit den Männern und den losen Frauenzimmern.«
Lena hatte gelacht, auch wenn die Worte sie nicht richtig getröstet hatten. Zum ersten Mal hatte sich ein kleiner Stachel festgehakt, und sie hatte begriffen, dass es keine reine, unbefleckte Liebe gab. Doch hatte es nichts daran geändert, dass sie Martin liebte. Trotz des Vergleichs mit dem Apfelkuchen. Wenn er erst ihr gehörte, würde sie ihn schon so sättigen, dass er keinen Blick mehr für andere hätte, hatte sie sich geschworen.
Das alles war lange her und erschien ihr wie ein fremdes Leben. Seit dem Überfall war sie nur noch ein Schatten
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