Die Sündenheilerin (German Edition)
ihrer selbst gewesen. Die Heilerin von Sankt Michaelis, die immer gütig, sanft und freundlich war. Die alte Wildheit schien gestorben zu sein, als Barbarossas Schwert sie durchbohrt hatte.
Nein, sie ist nicht gestorben, sie ist noch da, dachte Lena trotzig. Es wurde Zeit, vollständig ins Leben zurückzukehren, sich nicht länger zu verstecken. Niemals mehr. Nicht vor Elise und nicht vor der Welt.
Der Himmel war strahlend blau, als sie in den Burghof trat. An solchen Tagen war ihr Vater oft zur Jagd geritten. Umso erstaunter war sie, als sie ganz in der Nähe des Küchenhauses Philip entdeckte. Für gewöhnlich ritt der Ägypter schon früh am Morgen davon und kehrte erst am späten Nachmittag zurück, ganz gleich, wie trüb das Wetter war. Und jetzt, beim schönsten Sonnenschein, lehnte er an der Wand und starrte vor sich hin. Eine grüblerische Falte stand zwischen seinen Brauen, ganz so, als denke er über etwas Unangenehmes nach.
»Oh, Herr Philip, übt Ihr Euch gerade darin, einmal nicht im Weg zu stehen?« Im nächsten Augenblick hätte sie sich auf die Lippen beißen mögen. Es war ungebührlich, aber sie konnte nicht anders. Fast wie damals, vor Martins Tod, als ihre spitze Zunge gefürchtet war. Ach was, mochte es auch unschicklich sein, es fühlte sich gut an, nach all den trüben Gedanken.
Er hob den Blick. Die Stirnfalte glättete sich, und ein Lächeln blitzte in seinen Augen auf.
»Vermisst Ihr es etwa?«
»Nein, Ihr macht Euch ganz gut als lebendes Standbild an der Mauer.«
Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Stets zu Diensten.«
»Aber ich muss Euch bitten, mir künftig keine Präsente mehr zu schicken. Das ziemt sich nicht.«
»Verzeiht. Dort, wo ich herkomme, ist es nicht unüblich, einer edlen Dame durch Geschenke zu huldigen.«
»Und mit welcher Absicht?«
Philip lachte leise. »Um ihr zu gefallen.«
»Ihr gefallt doch schon genügend Frauen, da bedarf es meiner Gunst doch gar nicht mehr.«
»Wenn Ihr das sagt.«
»Das sage ich.« Lena wollte sich abwenden, doch da hörte sie ihn weitersprechen. »Auf ein Wort, Frau Helena. Würdet Ihr mir eine Frage beantworten? Eine ganz harmlose, unverfängliche?«
»Ihr könnt unverfängliche Fragen stellen?«
Er senkte den Blick. »In Ägypten sehr wohl, doch hier scheinen andere Sitten zu herrschen. Sagt, Frau Helena, ist es in diesem Lande unerwünscht, Frauen schöne Worte zu sagen? In aller Höflichkeit, versteht sich.«
»Schöne Worte? Was meint Ihr damit?«
Philip räusperte sich. »Said wies mich darauf hin, es sei ungehörig, wie ich die Gräfin an der Tafel ihres Gatten ansprach. Ihr seid eine Frau, Ihr könnt mir die Frage gewiss beantworten. Würde es Euch kränken, wenn ich Euch sagte, Eure Schönheit sei so vollkommen, dass selbst die Rosen im Garten des Sultans ihre Köpfe hängen ließen?«
»Das habt Ihr der Gräfin gesagt?« Ohne es zu wollen, brach Lena in Gelächter aus.
»Was ist daran so lustig?«
»Ist es in Eurer Heimat üblich, Frauen mit Blumen zu vergleichen? Blumen verwelken schnell, wenn man sie pflückt.«
»Also wärt Ihr lieber ein unvergänglicher Edelstein?« Seine Augen strahlten, seine Seelenflamme sprühte bunte Funken. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen?
»Edelsteine sind kalt und gefühllos«, erwiderte sie und ging auf sein Spiel ein. »Warum lasst Ihr Euch nichts Besseres einfallen, Herr Philip?«
»Und was wäre besser? Schöneres und Kostbareres als Blumen und Geschmeide hat die Welt nicht zu bieten.«
Auf einmal war alle Schwere wie verflogen, die alte Lena zurückgekehrt. Etwas zu vorlaut, nicht immer taktvoll, wie ihre Mutter oft getadelt hatte. Nun, auch Mutter war tot. Niedergemetzelt an jenem Tag, da sie alle verloren hatte, die ihr teuer waren. Hastig schüttelte sie den Gedanken ab. Lieber ein unschickliches Wortgeplänkel mit dem Ägypter, als zurück in die Dunkelheit zu fallen.
»Warum vergleicht Ihr eine Frau nicht mit einem Kirschbaum? In seiner Blüte ist er schöner als jede Rose, sein Duft ist betörend und verführerisch. In seiner Reife nährt er die Menschen und Tiere. Sein Stamm ist stark, seine Äste bieten Vögeln ein Zuhause. Und wenn er eines Tages stirbt, so werden kostbare Möbel und Truhen aus seinem Holz geschnitzt, die die Ewigkeit überdauern.«
»Ein Kirschbaum«, wiederholte er. »Wäre er nicht sehr einsam, der starke Baum in all seiner Kraft und Blüte?«
»Im Garten meines Vaters wuchsen zwei Kirschbäume, die einander so nahe standen, dass
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