Die Sündenheilerin (German Edition)
Titel Frau. Ich habe mich lange gefragt, ob Ihr wohl jung verwitwet seid.«
»Jetzt werden Eure Fragen aber recht persönlich.« Sie atmete tief ein und aus.
»Persönlicher als die, die Ihr mir gestellt habt?«
Sie senkte die Lider. »Ihr habt recht. Es tut mir leid, wenn ich aufdringlich war.«
»Das wart Ihr nicht. Ich hätte ja nicht zu antworten brauchen. Und auch Ihr müsst nicht antworten.«
Sie schluckte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, die alten Bilder erneut zu beschreiben, doch zugleich fühlte sie sich auf unerklärliche Weise verpflichtet. Er hatte ihr von schweren Erinnerungen erzählt, ihr offen geantwortet.
»Ihr seid nicht von hier, Ihr werdet die Geschichte nicht kennen«, sagte sie leise. »Mein Gatte und meine Familie kamen vor fast einem Jahr ums Leben, als unser Hochzeitszug nach der Trauung zum Gut Eversbrück zog. Barbarossas Männer fielen über uns her wie die Wölfe. Ich habe als Einzige überlebt, weil sie mich für tot hielten.«
Nun war es heraus. Sie wandte sich ab, wollte nichts mehr hören, doch da fühlte sie seine Hand sacht auf ihrem Arm.
»Das war Euer Hochzeitszug?«
Sie hörte die Betroffenheit in seiner Stimme und wandte sich zu ihm um. Seine Hand berührte noch immer ihren Arm.
»Ich habe davon gehört, Frau Helena.« Er schluckte. »Bevor wir nach Birkenfeld kamen, waren wir zu Gast bei Fürst Leopold. Er erzählte uns von Barbarossas Schandtaten.«
Für einen Moment hatte sie das Gefühl, ihren eigenen Schmerz in seinen Augen zu lesen. Es war kein falsches Mitleid, kein wohliger Grusel, wie sie es so oft erlebt hatte. Seine eben noch sprühende Seelenflamme war nur noch ein schwaches blaues Glimmen.
Er weiß, was in mir vorgeht, dachte sie. Er kennt die Dunkelheit, als hätte er sie selbst durchschritten. Die Erkenntnis raubte ihr fast den Atem. Wie falsch hatte sie diesen Mann doch eingeschätzt.
»Es ist vorbei, lasst uns nicht mehr davon sprechen«, sagte sie.
Er nickte und ließ sie los, doch seine Blicke hielten sie gefangen, verhinderten, dass sie sich abwendete und ging. Augen, warm wie dunkler Tannenhonig. Fremdartig und doch vertraut.
Sie wartete, dass er etwas sagte, aber er musterte sie schweigend. Zu gern hätte sie gewusst, was er dachte. Waren seine Gedanken noch bei ihr, oder schweiften sie zurück zu seinem eigenen Leid, über das er nicht sprach? Das er hinter einer lebenslustigen Maske verbarg, so gut, dass es fast niemandem auffiel?
Das Schweigen wurde unerträglich.
»Ihr seid nicht nur deshalb hierhergekommen, um Eures Vaters Heimat kennenzulernen«, brach sie die Stille.
»Wie kommt Ihr darauf?«
»Es steht in Euren Augen.«
Für einen winzigen Moment senkte er die Lider, doch sofort hatte er sich wieder gefasst und hielt ihrem Blick stand.
»Und was könnt Ihr dort noch lesen?« Da war es wieder, das bunte Blitzen. Nicht ganz so hell wie zu Beginn ihrer Unterhaltung, aber doch voller Kraft. Ein bemerkenswerter Mann. Eine weniger feinfühlige Beobachterin hätte seine kurze Unsicherheit wohl nicht bemerkt.
»Ich glaube, es wäre Euch nicht recht, wenn ich darüber spräche.«
»Keine falsche Bescheidenheit, Frau Helena. Ich bin neugierig. Was glaubt Ihr über mich zu wissen?«
Lena ließ sich Zeit, bevor sie antwortete. Betrachtete seine Miene, suchte nach Unsicherheiten, vergeblich. Wollte er sie prüfen? Oder war es für ihn nur ein Spiel?
»Ihr habt zwei Gesichter. Das eine, das Ihr nur zu gern zeigt. Ein Mann, der sich in der Welt zu behaupten weiß, wortgewandt, vermutlich ein geschickter Krieger, wenn nicht gar ein Ritter, gebildet, sich seines Wertes stets bewusst. Aber dahinter liegt etwas anderes verborgen. Ihr tragt einen tiefen Kummer mit Euch herum. So tief und schwer, dass er alles erdrücken könnte, was Euch auszeichnet.«
»Frau Helena, Ihr könnt einem wirklich Angst machen.« Er lachte, aber es klang nicht wie sonst. Sie hatte seinen wundesten Punkt getroffen.
»Ihr wolltet es von mir hören.«
»Ich hatte nicht geglaubt, dass Ihr tatsächlich in den Seelen der Menschen lesen könnt.«
»Wollt Ihr über Euren Kummer sprechen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe gelernt, dass Worte alles nur noch schlimmer machen.« Das Leuchten seiner Augen war erloschen. »Ich danke Euch, Frau Helena. Wir sehen uns heute gewiss noch an der Tafel des Grafen.«
Bevor sie auch nur nicken konnte, war er an ihr vorbeigegangen. Sie sah ihm verwundert nach. War er tatsächlich vor ihr geflohen?
Am Abend traf sie ihn zum
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