Die Sündenheilerin (German Edition)
gemeinsamen Mahl. Dafür hatte Elise sich diesmal entschuldigen lassen. Nach allem, was heute früh geschehen war, hatte Lena nichts anderes erwartet, doch zugleich wurde ihr bewusst, dass sie und Elise seit der Ankunft der Reisenden aus dem Morgenland niemals gemeinsam an der Tafel erschienen waren. Und noch etwas anderes war auffällig. Der Graf bemühte sich, ein großherziger Gastgeber zu sein, doch seine Offenheit war verschwunden. Immer wieder schweifte sein Blick zu Philip hinüber, forschend, fast misstrauisch. Der Ägypter wich dem Blick des Grafen aus, redete nicht so viel wie gewöhnlich, sondern widmete sich den Speisen auf seinem Teller. Was mochte zwischen den beiden Männern vorgefallen sein?
Lena wandte den Kopf zu Said hinüber. Der Araber bemühte sich um eine gleichmütige Miene, dennoch bemerkte Lena die besorgten Blicke, die er Philip zuwarf. Daneben saß Ludovika, die Lippen aufeinandergepresst, als müsse sie giftige Worte zurückhalten. Der Einzige, an dem die angespannte Atmosphäre unbemerkt vorüberging, war der Kaplan. Vermutlich weil er sich mehr mit den gebratenen Hühnern als mit seinen Tischgenossen beschäftigte.
Als die Tafel aufgehoben wurde, war Lena froh. Etwas zu hastig sprang sie auf. Nur fort von dieser Schwere, die nicht fassbar, aber doch so drückend war!
»Frau Helena?« Die Stimme des Grafen hielt sie auf.
»Ja, Herr Dietmar?« Während sie sich umwandte, spürte sie, wie ihre Hände feucht wurden.
»Bleibt Ihr noch auf ein Wort?«
Martins Lächeln.
»Wie Ihr wünscht, Herr Dietmar.«
Aus den Augenwinkeln nahm sie Philips Gesicht wahr. Er war ebenfalls stehen geblieben. Zwischen seinen Brauen die Furche, die seinem Gesicht jenen grüblerischen Ausdruck verlieh. Seine Hand zuckte. Wollte er ihr ein Zeichen geben?
Graf Dietmar hatte es nicht bemerkt. Unbeirrt führte er Lena in die Nähe des Kamins, wo niemand seine leisen Worte hören konnte. Philip stand noch immer neben der Tür und bedachte sie mit einem Blick, den sie nicht zu deuten wusste. War es Sorge? Misstrauen? Erst als Said ihn an der Schulter berührte, nickte er und folgte seinem Freund aus dem Saal hinaus.
Die letzten Schritte waren verhallt, nur das Knacken der Holzscheite im Kaminfeuer durchbrach die Stille.
»Frau Helena, Ihr seid eine kluge Frau und eine gute Menschenkennerin. Deshalb bitte ich Euch um einen Rat.«
»Was für einen Rat?« Sie strich ihre Suckenie glatt.
»Sagt mir, was Ihr von diesem Philip haltet.« Lena hörte das leichte Beben in seiner Stimme. War er beunruhigt? Oder war es Zorn?
»Ist etwas zwischen Euch vorgefallen, Herr Dietmar?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts von Bedeutung, doch ich habe den Eindruck, der Mann verschweigt mir etwas, das ich wissen sollte.«
»Mögt Ihr mir davon erzählen?«
Dietmar lächelte, doch diesmal ohne Wärme. »Ich möchte nur Eure Einschätzung hören, Frau Helena. Glaubt Ihr, dass er ein aufrechter Mensch ist?«
»Er gab mir keinen Grund, daran zu zweifeln.« Sie vergrub die Hände im weichen Stoff ihres Kleides. Welchen Groll hatte Philip auf sich gezogen? Hatte er deshalb einen so ernsten Eindruck gemacht, als sie ihn heute Mittag angesprochen hatte?
»So?« Dietmar starrte in den Kamin, als hoffe er, im Prasseln des Feuers Antworten zu finden. »Nun, ich glaube, er ist ein Regensteiner Bastard. Und er ist nicht ohne Grund hier.«
»Ein Regensteiner? Wie kommt Ihr darauf?«
»Weil es zu allem passt, was man über die Regensteiner sagt. Und zu der Geschichte, die er uns erzählt hat. Der Sohn eines Ritters und einer Ägypterin. Er spricht den Dialekt unserer Gegend, fast so, als wäre er hier geboren. Ich weiß, dass es eine geheime Übereinkunft gab, ehe Bonifatius von Montferrat die Führung des vorletzten Kreuzzuges übernahm. Das ursprüngliche Ziel lag nicht in der Befreiung des Heiligen Landes, sondern in der Plünderung Ägyptens. Jenes geheime Abkommen stammte von französischen Rittern, aber die Regensteiner mischten dabei kräftig mit. Zwei Brüder des jetzigen Grafen von Regenstein sind niemals zurückgekehrt. Es heißt, sie seien gefallen. Aber sind sie wirklich tot? Warum hätten sie zurückkehren sollen, wenn sie in Ägypten Glück und Reichtum gefunden hätten?«
»Dann glaubt Ihr, Philip sei der Neffe des Grafen von Regenstein?«
Dietmar nickte. »Ihr wisst doch, was man über die Regensteiner munkelt, nicht wahr, Frau Helena?«
Lena musste an Ludovika denken. Der Nonne hätte dieses Gespräch gewiss nicht
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