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Die Sündenheilerin (German Edition)

Die Sündenheilerin (German Edition)

Titel: Die Sündenheilerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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greinten wie die Klageweiber in Ägypten. Doch es konnte sich um keinen Beerdigungszug handeln. Hier ehrte man die Toten durch andächtige Gebete, nicht durch lautes Wehklagen. Jedenfalls hatte sein Vater es ihm so erzählt.
    Philip zügelte sein Pferd und ritt langsam näher. Auf dem Dorfplatz hatte sich eine aufgebrachte Menge versammelt.
    »Mörderpack!«, rief eine Frau und stieß die Fäuste in die Luft. »Man sollte es endlich ausräuchern!«
    »Das arme Kind!«, schrie eine zweite, bekreuzigte sich und sank auf die Knie. Da erst sah Philip den Leiterwagen, den die Dörfler bis dahin noch mit ihren Körpern verdeckt hatten. Auf dem Wagen lagen vier Tote. Sie alle waren nackt, mit aufgeschlitzten Kehlen und ausgeblutet wie geschlachtetes Vieh. Darunter ein junges Mädchen, kaum älter als ein Kind. Einer der Männer warf seinen Mantel über den geschändeten Leib. Dessen Farben kamen Philip bekannt vor. Dann wandte der Mann ihm das Gesicht zu, und er erkannte Graf Dietmar. Die Miene des Grafen war verhärtet, der Blick starr auf die Toten gerichtet. Sein Mantel bedeckte nur die Blöße des geschundenen Mädchens. Die schreckensstarren, leeren Augen des Kindes schienen das Grauen für alle Ewigkeiten widerzuspiegeln.
    Alwins Opfer, durchzuckte es Philip. Thea hatte ihn gerichtet, doch sie hätte es verhindern können, wenn sie nicht zu ihm gekommen wäre. Oder wenn er sie fortgeschickt hätte, standhafter geblieben wäre, das Blut an ihrer Kleidung ernster genommen hätte. Schuldbewusst knetete er die Zügel seines Pferdes.
    »Sagt uns, was Ihr tun wollt, Herr Graf.« Ein weißhaariger Mann war neben Dietmar getreten. Vermutlich der Dorfälteste.
    Dietmar legte ihm die Hand auf die Schulter. »Gott wird die Mörder in seinem Reich richten, doch in meinem werde ich dafür sorgen, dass sie für ihre Schandtaten bestraft werden.«
    »Aber wann?« Eine stattliche Matrone trat vor, die Hände in die breiten Hüften gestemmt. »In den letzten Monaten wurde es immer schlimmer. Sie kommen dem Dorf näher und näher. Zuerst war es bei Quedlinburg, dann die Eisenerzfuhren, und jetzt ist schon die Straße nach Halberstadt nicht mehr sicher. Was hat dieses arme Kind getan, dass es ein solches Schicksal verdiente? Und diese braven Männer?«
    Zustimmendes Gemurmel. Ein Mann, der wohl gerade von der Feldarbeit herbeigerannt war, wirbelte seine Heugabel durch die Luft. »Wir sehen nicht länger tatenlos zu! Ich bin bereit, mich dem Mörderpack zu stellen. Die werden schon sehen, dass wir zu kämpfen wissen. Und wenn ich sie mit der Mistforke und dem Dreschflegel erschlagen muss!«
    »Sehr richtig«, hallte es aus der Menge zurück. Drei weitere Männer traten vor und hoben ihre Hacken und Äxte.
    »Ich schätze euren Mut!«, rief Graf Dietmar. »Doch denkt daran, das Schelmenpack wird von dem rotbärtigen Teufel angeführt, der sich erdreistet, den Namen Barbarossas zu schänden. Mögt ihr auch noch so mutig und tapfer sein, allein wird euch nur das Schicksal dieser bedauernswerten Opfer zuteil. Ich werde das Räuberlager mit meinen Waffenknechten aufspüren und die Bande ausräuchern. Ihr habt mein Wort darauf.«
    Zustimmendes Gejohle. Doch in die Zustimmung mischte sich noch etwas anderes. Ein Zischen und Tuscheln. Zunächst glaubte Philip, jemand sei mit dem Versprechen des Grafen unzufrieden, doch dann sah er, dass einige Menschen auf ihn aufmerksam geworden waren.
    »Kennst du den …« Ein Mann stieß seinen Nachbarn an und deutete auf Philip.
    »Ganz in Schwarz …«, raunte irgendwer, den Philip nicht sehen konnte. »… der Leibhaftige …«
    Immer mehr Menschen starrten ihn an. Diesmal war es mehr als das übliche Misstrauen, dem er aufgrund seines fremdländischen Äußeren schon so oft begegnet war. Das Blut der unschuldigen Opfer auf dem Leiterwagen schrie nach Rache. Ein kalter Schauer rieselte Philip über den Rücken, und er zog die Zügel fester. Sein Pferd schnaubte und warf den Kopf hoch.
    »… Höllenross …« Wieder tuschelten die Menschen, steckten die Köpfe zusammen. Der Mistforkenschwinger hatte die Hand fest um den Holzstiel gekrampft und hielt die Heugabel wie einen Speer.
    Philips Mund wurde trocken. Einmal hatte er erlebt, was geschehen war, als eine Menschenmenge sich in eine wilde Meute verwandelt hatte, ein gewissenloses Raubtier ohne Verstand, das sich erst zufriedengab, als sein Opfer zerrissen worden war. Damals war es ein alter Mann gewesen, Philip wusste nicht einmal, was man ihm

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