Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Geräusch geweckt, das klang, als laufe Wasser ins Waschbecken, so als leere jemand einen ganzen Eimer hinein. Wenn ich dann aufgestanden bin und aus dem Fenster geschaut habe, habe ich jedes Mal das Licht im Badezimmer gesehen.«
Ich bin zwar tagsüber hier, aber das Badezimmer ist mir trotzdem unheimlich – nachts würde ich mich dort nicht aufhalten wollen. Ich stelle mir vor, wie sich Fred Deeming über einen Eimer mit Wasser beugt, seine blutigen Hände wäscht und das verschmutzte Wasser dann ins Waschbecken schüttet. Ich frage mich, ob Deeming diese Tradition wohl auch nach seinem Tod fortsetzt – ob er seine Hände so bereits bei zwei weiteren Gelegenheiten gewaschen hat und ob wohl noch weitere folgen werden.
»Ich habe sogar einen Schatten im Badezimmer gesehen«, berichtet Mrs. Fiddymont weiter. »Eine Gestalt, die einen Zylinder trug. Ich sehe immer wieder, wie sie sich durch dieses entsetzliche Haus bewegt, und es jagt mir jedes Mal wieder einen Schauer über den Rücken.«
Je länger ich mich in dem Haus aufhalte, desto überzeugter bin ich davon, dass dort finstere Mächte am Werk sind. Ich frage Mr. Stamford, ob auch er die Anwesenheit von etwas Düsterem im Inneren des Hauses spürt, aber er schüttelt den Kopf. Er hält sich aufgrund dessen, was hier geschehen ist, zwar nicht gerne in dem Haus auf, aber von Geistern und Gespenstern will er trotzdem nichts wissen.
Ich erwähne Mrs. Fiddymont und das Licht im Badezimmer und berichte auch von einem weiteren Nachbarn, einem jungen Mann namens Alfred Spedding, der mir ebenfalls erzählte, er habe eine dunkle Gestalt beobachtet, die nachts das Haus mit der Nummer 57 betrat und wieder verließ. Eine dunkle Gestalt, die einen Zylinder und einen Mantel trug. Mr. Spedding, der in Nummer 55 wohnt, hat nach eigenen Angaben oft beobachtet, wie Mr. und Mrs. Drewn ihr Haus in Abendgarderobe verließen und aussahen, als wären sie unterwegs in die Stadt, um eine Theatervorstellung zu besuchen. Er sagte, Mr. Drewn habe immer einen Zylinder und einen schwarzen Mantel getragen, seine Frau ein hübsches grünes Kleid mit weißer Bordüre sowie einen kunstvollen Hut.
Außerdem habe er aus dem Inneren des Hauses die Schreie einer Dame gehört, das Weinen eines Mannes und sogar das Geräusch einer Schaufel, mit der Erde umgegraben wurde.
»Viele Male wurde ich von den Schreien einer Frau geweckt«, so Spedding. »Erst dachte ich, sie kämen aus einem anderen Haus, aber nach einer Weile wurde mir bewusst, dass sie von nebenan stammten. Ich hörte sie immer zur selben Zeit – kurz nach zwei Uhr morgens – und es waren immer dieselben Schreie: zweimal nacheinander, kurz und durchdringend, unverkennbar die Schreie einer Dame.«
»Oh ja, ich habe Weinen aus dem Inneren dieses schrecklichen Hauses gehört«, gibt auch Mrs. Fiddymont zu. »Für gewöhnlich gegen zwei Uhr morgens. Aber das einzige Wort, das ich verstehen konnte, war ›Mutter‹.« Glaubt sie, den Geist von Fred Deeming gehört zu haben? »Da bin ich mir sogar ganz sicher«, antwortet Mrs. Fiddymont und nickt bestimmt mit dem Kopf. »Ich habe diesen Mann mehrmals weinen gehört und es klang ganz genauso.«
Aber was ist mit den Geräuschen der Schaufel? Nun, Mrs. Fiddymont und Mr. Spedding geben beide an, solche Geräusche mehrfach aus dem Haus mit der Nr. 57 wahrgenommen zu haben, wenn sie mitten in der Nacht ihr Toilettenhäuschen aufsuchten.
Ich erzähle all das auch Mr. Stamford, aber er sieht mich nur an, zuckt mit den Achseln und führt mich dann ins Schlafzimmer, in dem Deeming seine Frau vergraben hat.
Sobald ich den Raum betrete, werde ich von einem Gefühl des Grauens erfasst. Es fühlt sich an, als versuche etwas, die Luft aus meinen Lungen zu saugen. Mein Atem wird schwer. Und obwohl es bereits sechs Monate her ist, dass die Leiche von Emily Williams unter der Kaminplatte entdeckt wurde, und der Raum inzwischen gründlich gereinigt wurde, liegt noch immer ein Geruch von verfaulten Äpfeln und verwestem Fleisch in der Luft, von dem mir übel wird.
Ich frage Mr. Stamford, ob er den widerlichen Gestank auch riecht, und er räumt zögernd ein, einen schwachen Hauch des Todes wahrzunehmen. Er vermute jedoch, dass es sich dabei um den Geruch handele, der sich für alle Zeiten in seiner Nase festgesetzt habe.
Ich versuche, den Gestank und das Gefühl des Grauens zu ignorieren, und blicke mich in dem Zimmer um. Der Raum ist mittelgroß, gegenüber der Tür befindet sich ein großes Fenster und
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