Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
das?«
»Oh, das ist meine Liste. Die habe ich gemacht, um zu entscheiden, wer von euch beiden sterben sollte. Hat irgendwie richtig Spaß gemacht. Aber Jerry ist fast durchgedreht. Er konnte nicht fassen, dass ich mit einer Liste über das Schicksal meiner Familie entscheiden will.«
Kim lächelte. »Na, schön zu sehen, dass ich gewonnen habe. Du liebst mich wirklich.«
Ray packte sie an den Schultern und zog sie ganz dicht zu sich heran. »Darauf kannst du wetten.«
NOTIZEN ZUR ENTSTEHUNG:
Das war mein Beitrag für die nicht gerade vom Schicksal begünstigte Anthologie Family Plots. Für alle, die noch nichts davon gehört haben, hier die Kurzfassung der Geschichte: Wild Roses war ein kleines Verlagshaus, das 2002 in Australien gegründet wurde. Anfangs lief alles gut und sie veröffentlichten Rage von Steve Gerlach und dann meinen Debütroman Das Motel . Eigentlich waren im Anschluss weitere Titel geplant, darunter auch The Wicked von James Newman und eben Family Plots, ein umfassender Sammelband mit Beiträgen von so ziemlich jedem Horrorschriftsteller, der damals aktuell war. Diese Bände konnte Wild Roses aber nicht mehr veröffentlichen. Auch wenn die Pleite des Verlags bei vielen Autoren und Lesern einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen hat, bin ich froh, dass diese Geschichte in Der Sünder nun doch noch das Licht der Welt erblicken durfte.
Eine neue Religion
(The new Religion)
In der höhlenähnlichen Kapelle, in der ein schwerer Geruch von Blut und brennendem Öl in der Luft hing, hatte Reverend Fred Barnett, der einen schwarzen Filzhut und eine lange schwarze Jacke trug, bereits mit seiner Predigt begonnen. Der Schein der Gaslampen, die an den aus Ziegelsteinen gemauerten Wänden thronten, flackerte über die Gemeinde. Nathan schritt über die Pflastersteine, die erst vor einer Woche verlegt worden waren – die Kirche wurde, wie viele andere im ganzen Land, noch immer umgebaut – und einige der Konvertiten schreckten hoch, als sie seine Schritte hörten.
Er kniete sich neben seinen besten Freund Joe auf die schwarze Kirchenbank. Die beiden begrüßten einander nervös.
»Schon wieder zu spät«, murmelte Joe.
Das war bereits das fünfte Mal in Folge, dass Nathan zu spät kam. Er hatte Glück gehabt, die Tür nicht verschlossen vorzufinden, wie es eigentlich üblich war, wenn die Messe bereits begonnen hatte. Er hatte die Messe am heutigen Abend unter keinen Umständen verpassen wollen – es war Opfernacht und sie gedachten der verstorbenen Annie Chapman.
Nathan zuckte die Achseln, beugte seinen Kopf nach vorn und lauschte den Worten des Reverends.
»… 100 Jahre, seit unser Herr über diese Erde wandelte, 200 Jahre seit dem Beginn der Neuen Welt. Heute, an diesem 200. Jahrestag, ehren wir den Ersten und Größten unter ihnen – Seinen Mythos, Seinen Ruhm, Seine Legende – und erweisen all jenen Respekt, die Seinem Vorbild gefolgt sind. Wir ehren die fünf Apostel: Peter, Ted, Peter, Kenneth und Angelo. Und wir preisen die heilige Nicht-Jungfrau Maria, denn sie hat dem Herrn das größte Opfer dargebracht. Im Jahr 200 n. R., im Anbeginn des dritten Jahrhunderts, haben wir das Glück, der Wahrheit näher zu sein als jemals zuvor. Schon bald wird unser wahrer Messias ernannt werden. Lasset uns beten …«
Nathan griff nach der Bibel, die auf der Banklehne vor ihm lag, und strich mit der Hand über das ahnungsvolle Gesicht ihres mit einem Umhang verhüllten Gottes auf dem Umschlag. Er sah, wie Joe zögerte und ein Anflug von Angst über seine Miene huschte, bevor er nach dem schmalen Band griff. Joes Eltern glaubten noch immer an die alte Religion, eine Welt, die schnell zugrunde ging. Nathan konnte das Schuldbewusstsein nachvollziehen, das jedes Mal von Joe Besitz ergriff, wenn er die Weiße Kapelle betrat.
Nathan umklammerte das heilige Messer, das er um seinen Hals trug, und blickte an den Wänden empor. Flankiert von Filmplakaten – alles von The Lodger bis zum dritten Teil von From Hell – und künstlerischen Darstellungen des Herrn und seiner fünf göttlichen Taten waren dort die lächelnden Bildnisse von Peter Kürten, Ted Bundy – Nathans Lieblingsapostel – Peter Sutcliffe, Kenneth Bianchi und Angelo Buono zu sehen: Symbole einer neuen Religion, einer neuen Passion, die sich immer schneller über die ganze Welt ausbreitete. Sie waren nach Nathans 13-jähriger Meinung entschieden cooler als die angeschlagene, entweihte Statue des am Kreuz hängenden Gottes der alten
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