Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
sie weiter und kicherten und schubsten das hilflose Kind dabei hin und her.
Die Tür schloss sich wieder, und auch wenn Jackson am liebsten ausgestiegen wäre, um den Hänseleien ein Ende zu bereiten, blieb er in seinem vorübergehenden Kokon.
Geht mich sowieso nichts an, dachte er, obwohl es ihn rasend machte, solche Quälereien anzusehen.
Wo zur Hölle treiben sich heute Nacht bloß all die Eltern rum? Feiern die in einer der Wohnungen ’ne Orgie oder was?
Angeblich war es doch eine ruhige Nacht. Zumindest, wenn man dem Nachtportier glaubte – der in dieser Hinsicht jedoch möglicherweise gelogen hatte und über Jacksons geheimes Leben bestens Bescheid wusste.
Jackson wurde nervös. Er war sich sicher, dass Gloria versuchte, ihm irgendetwas mitzuteilen. Und er war sich fast sicher, dass es darauf hinauslief, dass man ihn schnappen würde.
Soll ich wieder in die Lobby runterfahren? Aber was dann? Da unten könnte auch schon die Polizei auf mich warten. Der verdammte Pförtner hat wahrscheinlich schon die Bullen in meiner Wohnung per Funk informiert und ihnen Bescheid gegeben, dass ich zurück bin. Jetzt warten unten auch welche, falls ich versuchen sollte, abzuhauen.
Je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich, dass sie ihm auf die Schliche gekommen waren. Irgendwie hatten die blöden Bullen es geschafft, die Spuren zu ihm zurückzuverfolgen.
Ich hab heute Nacht gar nichts gemacht. Wie haben sie mich bloß gefunden? Ich bin doch nur durch die Gegend gelaufen. Dafür können sie mich nicht festnehmen.
Zu seinen schönsten Erinnerungen gehörte seine Zeit an der Grundschule von Belford. Er hatte sich mit den meisten Kindern im Dorf angefreundet. Deshalb war es ein Gefühl wie Sommerferien, zur Schule zu gehen, abgesehen von den Hausaufgaben natürlich, aber die störten ihn auch nicht besonders. Oft half er sogar Kindern, die nicht ganz so schlau waren wie er selbst. Dadurch machte er sich in seiner Klasse noch beliebter, auch bei den Mädchen. In diesen magischen Jahren, bevor die Pubertät sie in die Finger bekam, waren Mädchen noch nicht diese furchteinflößenden, fremdartigen Wesen, in die sie sich später verwandelten. Es war eine großartige Zeit. Damals richtete der bloße Duft eines weiblichen Wesens noch kein Hormonchaos in ihm an und machte ihn zu einem unkontrollierten Idioten. Ein Mädchen war auch nur ein Kumpel, mit dem er Ball spielte, jemand, mit der er Eis essen oder durch die Stadt radeln konnte. Er gehörte zu den beliebtesten Kindern an der Grundschule von Belford. Alles war gut.
Jackson überlegte noch, ob er die Vier drücken oder die Fahrtrichtung ändern und wieder in die Lobby zurückkehren sollte, als der Fahrstuhl ohnehin in der vierten Etage stehen blieb.
Er machte einen Schritt zurück.
Die Tür öffnete sich. Es wartete keine Schar Polizisten auf ihn.
Es war überhaupt niemand da, soweit Jackson es sehen konnte.
(Dann werde ich nicht mehr da sein. Das ist das allerletzte Mal, dass du mich siehst. Aber ich muss dir noch etwas sagen, bevor ich gehe. Etwas, das du bestimmt nicht hören willst …)
Jackson entspannte sich ein wenig und trat mit einem Fuß in die Tür, damit sie sich nicht wieder schloss.
Er musste sich entscheiden: Sollte er in seine Wohnung hochfahren oder den »Abwärts«-Knopf drücken? Falls tatsächlich Polizisten in der Eingangshalle auf ihn warteten, konnte er zumindest versuchen abzuhauen. Wenn er es bis raus auf die Straße schaffte, hatte er vielleicht eine Chance, sie abzuhängen.
Ich bin einfach nur paranoid. Es warten nirgendwo Bullen auf mich. Sie können mir überhaupt nichts nachweisen. Sie haben nicht die geringste Spur …
Da er heute jedoch noch keine Zeitung gelesen hatte, konnte er sich in dieser Hinsicht nicht vollkommen sicher sein.
Er spielte mit dem Gedanken, durch das Treppenhaus nach unten zu gehen und einen Blick in die Lobby zu werfen, um nachzusehen, ob dort nicht doch Polizeibeamte auf ihn warteten.
Aber im Treppenhaus stinkt es noch widerlicher als im Fahrstuhl.
Nach einiger Überlegung zog Jackson den Fuß wieder zurück und beschloss, mit dem Fahrstuhl bis ganz nach oben zu fahren.
Aber die Tür schloss sich nicht. Auch nicht, als er mit der Hand auf den »Schließen«-Knopf hämmerte. Mehrmals.
»Komm schon«, knurrte er. »Was ist denn jetzt los?«
Erneut hatte er das Gefühl, Gloria versuche, ihm irgendetwas Wichtiges mitzuteilen.
Außer, dass wir Geister im Haus haben?
Er entdeckte das
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