Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Notruftelefon an der Wand und überlegte, ob er den Nachtportier anrufen sollte, um ihm zu sagen, dass der Fahrstuhl verrückt spielte. Aufgrund irgendeines Problems mit der Elektrik, der Kinder im dritten Stock oder der Tatsache, dass es in diesem Haus spukte.
Oder weil Gloria mir eine Botschaft schickt.
Jackson bemerkte nicht, wie sich die Wohnungstür öffnete. Erst, als er die Schreie hörte, warf er einen Blick auf den Korridor hinaus und sah, wie zwei Männer auf ihn zurannten. Sein erster Gedanke war, dass ein Feuer ausgebrochen sein musste, obwohl er keinen Rauch sehen konnte.
»Ist alles okay?«, rief Jackson.
Mit einem Mal packte der ältere der beiden Männer den Jüngeren an der Kehle und zerrte ihn zurück.
Scheiße! Hier gab es überhaupt keinen Notfall, sah man mal von seinem plötzlichen Bedürfnis ab, verdammt noch mal so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
Komm schon, dachte er, während er mit wachsender Panik auf den »Schließen«-Knopf drückte.
Er wollte nicht Zeuge dessen werden, was sich zwischen den beiden Männern abspielte. Während er jedoch darauf wartete, dass die Fahrstuhltür sich schloss, sah er, wie der ältere Mann den jüngeren zu Boden warf und ihm seine Hosen herunterriss. Als der Ältere anfing, seine eigene Hose abzustreifen, wurde Jackson mit einem flauen Gefühl im Magen klar, was hier jeden Moment passieren würde.
Sieht er denn nicht, dass ich hier stehe? Was zur Hölle denkt der sich? Wenigstens tue ich es da, wo mich niemand beobachten kann.
Der Junge – obwohl Jackson das Gesicht des jungen Mannes nicht genau erkennen konnte und nur bemerkte, wie blass es im Vergleich zu den schwarzen Schatten wirkte, war er sich sicher, dass er nicht älter als 20 war – begann zu weinen und zu betteln. »Nein, bitte nicht. Bitte, Onkel, tu das nicht.«
Jackson drehte sich der Magen um. Seine Kehle fühlte sich mit einem Mal furchtbar trocken an.
Hatte er richtig gehört? Hatte der Junge den Mann wirklich gerade »Onkel« genannt?
Mein Gott.
Jackson hämmerte mit der Faust auf den »Schließen«-Knopf.
Geh zu! Mach schon, geh zu!
Er wollte nicht dabei zusehen. Wenn der jüngere Mann ein Mädchen gewesen wäre, wäre das in Ordnung gegangen. Aber nicht so . Alles, nur das nicht …
Der ältere Mann hatte sich hingekniet. Der Großteil seines Gesichts lag nun im Schatten verborgen. Nur sein verdorbenes Grinsen war noch zu erkennen. Seine Hosen schlackerten an den Fußgelenken und sein Körper bebte mit jedem neuen Akt der Gewalt.
Der Junge hörte nicht auf zu weinen. »Nein! Onkel, nein! Das tut weh!«
Auch Jackson weinte.
Was passiert hier? Gloria? Wo bist du? Was passiert hier, Gloria?
Die Schreie des jungen Mannes drangen tief in Jacksons Hirn ein. Er wünschte sich so sehr, dass sie verstummen würden.
(Ich weiß über dich Bescheid. Ja, du hast richtig gehört. Ich weiß über deine Vergangenheit Bescheid …)
Er zwang sich, nicht länger hinzusehen, aber er hatte einfach keine Möglichkeit, die schreckliche Geräuschkulisse zum Verstummen zu bringen, nicht einmal, wenn er sich die Ohren zuhielt.
Jackson schnappte nach Luft, als er ein Rumpeln hörte. Als er spürte, dass der Fahrstuhl wieder nach oben fuhr, öffnete er die Augen und nahm die Hände von seinen Ohren. Er wischte sich die Tränen weg, schaute zur Decke hinauf und atmete zitternd aus.
Heute Nacht ging irgendetwas Merkwürdiges vor sich. Zuerst das Baby, dann die Kinder und jetzt der Onkel mit seinem Neffen. Es war alles so schrecklich.
Und so vertraut.
Das machte ihm am meisten Angst.
Jackson wusste, dass er zum Notfalltelefon hätte greifen, den Nachtportier anrufen und ihm erzählen müssen, was er gesehen hatte.
Aber er konnte seinen Arm einfach nicht zu dem roten Telefon an der Wand ausstrecken.
Ich ruf ihn an, sobald ich sicher in meiner Wohnung gelandet bin, beschloss er. Wenn ich ein paar Gläser Scotch intus habe.
Schließlich würde er schon bald in seiner Wohnung sein.
Es sei denn …
Nein! Nicht schon wieder! Warum?
Er presste sich dicht an die Rückwand und fragte sich, welche Schrecken ihn als Nächstes draußen erwarteten.
Was haben die Geister noch für mich in der Hinterhand?, dachte er. Gloria? Weißt du es?
Im Gegensatz zu vielen anderen Teenagern verspürte er nicht den Wunsch, Belford zu verlassen und in eine größere, aufregendere Stadt zu ziehen. Er war zufrieden damit, zu Hause zu wohnen. Michael war in der Hoffnung nach New York gezogen, als
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