Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Löffel voll Eintopf in den Mund.
»So ist es richtig«, ermunterte ihn der Reverend.
Sobald der Mann den Eintopf gekostet hatte, beugte er sich jedoch nach vorne und spuckte ihn wieder aus.
Der Reverend wich zurück, um sich nicht schmutzig zu machen. Stöhnend erhob sich der Mann, warf dabei seinen Stuhl um und rannte zur Arbeitsplatte hinüber.
»Was machen Sie denn da? Was ist denn los?«
Der Reverend bekam Angst. Angst, er könnte dem Mann etwas zu essen gegeben haben, wogegen er allergisch war. Auf jeden Fall schien es, als brauchte der andere dringend einen ordentlichen Schluck Wasser.
Doch das war es nicht, was der Mann wollte.
Statt zum Spülbecken zu gehen, schnappte er sich den Klumpen rohes Fleisch, das von der Zubereitung des Eintopfs noch übrig war, und stopfte ihn sich in den Mund.
»Meine Güte«, entfuhr es dem Reverend vor Schreck.
Der Mann machte sich über das Fleisch her wie ein ausgehungertes wildes Tier. Blut rann über sein Gesicht und tropfte auf seine Brust.
Dem Reverend wurde von dem Anblick ganz übel. Er hastete zu dem Mann hinüber und entriss ihm das Fleisch.
»Lassen Sie das«, befahl er.
Der Mann, sein Gesicht orangefarben verschmiert, senkte den Blick.
Plötzlich schien er sich für sein Verhalten zu schämen. Der Reverend warf das angekaute Stück Fleisch in den Abfalleimer und wusch sich am Spülbecken sorgfältig die Hände. Dann führte er den Mann ins Badezimmer, wo er ihm Gesicht und Hände mit Seife säuberte.
Anschließend setzte er ihn in sein Schlafzimmer und schloss die Tür.
Er war der Ansicht, der Mann könne ein wenig Erholung gut gebrauchen.
Die Nacht wurde allmählich kühler. Der Reverend saß am Kamin und las im Tagebuch des Mannes. Die Wärme des Feuers hatte die durchnässten Seiten getrocknet, aber ein Großteil der Einträge war trotzdem kaum noch zu entziffern.
Die Nässe hatte die Schrift verschmiert. Der Reverend war überrascht gewesen, als er das Tagebuch gefunden hatte, denn es bewies, dass der Fremde nicht geistig zurückgeblieben war, wie er zunächst angenommen hatte. Inzwischen hatte der Reverend die meisten Seiten des Tagebuchs, deren Inhalt noch nicht dem Wasser zum Opfer gefallen war, gelesen, aber nichts Interessantes darin gefunden.
Er blätterte eine der zerknitterten Seiten um und sah, dass die Buchstaben zu undeutliche Schemen verlaufen waren.
Er schlug die nächste Seite auf.
18. Mai 19 –
Dies ist meine zweite Nacht an Bort der »Coup L’Aire«. Die andern Jungs, es sind so um die 35, scheinen recht nett zu sein. Der Käpt’n ist ein bisschen rupig, aber sind sie das nicht alle?
Mein Boss, sie nennen ihn den Franzosen, ist in Ordnung. Ich weiß nicht, warum sie ihn so nennen, einen Akzent hat er nämlich nicht.
Heute Nacht schreibe ich nur einen kurzen Eintrag, ich bin hundemüde. Morgen halten wir in Hati (jedenfals glaube ich, dass das so geschrieben wird), um Kisten mit Zuker an Bort zu nehmen. Das sollte ein Spaß werden: Ich hab von den Jungs gehört das da immer jede Menge nackige Frauen rumrennen und da alle auf Zaubersprüche und Vodoo und solches Zeug stehen.
Ich hab den ganzen Tag damit verbracht die Maschinen zu reparieren und Seile zu prüfen. Keine besonders glamuröse Arbeit aber die Bezahlung is gans okay.
Der Reverend lächelte. Er würde dem Mann in den nächsten Tagen ein wenig Rechtschreibung und Grammatik beibringen müssen. Er blätterte weiter.
20. Mai 19 –
Junge, was war das heute für ein Tag und eine Nacht! Es gibt jede Menge zu erzälen, deshalb beeil ich mich lieber. Ich will nicht den ganzen Tag mit schreiben vergeuden. Sonst werd ich bestimt gefeuert.
Gestern sind wir also in Hati angekommen. Wir sind alle in einem Ort namens Port-au-Prince, ich habs abgeschrieben, raus, wo wir die Kisten mit dem Zuker abgeholt haben. Na ja, wir haben dann den ganzen Tag haufenweise Zukerkisten auf das Schiff gebracht – und ich will hier mal festhalten, das Zuker verdammt schwer ist – bis wir endlich alle an Bort hatten. Ich fand diesen Ort gleich von Anfang an unheimlich. All diese Schwarzen in ihren komischen Klamoten, die diese seltsame Sprache sprechen. Ich bin kein Rassist oder so. Aber ich hab nun mal so ein komisches Gefühl.
Hinterher hat der Käpt’n uns dann gesagt wir können über Nacht hierbleiben. Er meinte, wir könnten die Erholung alle gut brauchen. Da musste ich ihm recht geben!
Ein paar von den alten Jungs haben mir gesagt, sie wollten per Anhalter rüber nach Mariani
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