Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
sich ans Fenster. Er blickte hinaus, sah aber nichts als Dunkelheit.
Kann kein Schiff gewesen sein, dachte er. Hier ist weit und breit kein Hafen.
Er wusste, dass auf dem nicht allzu fernen Meer zahlreiche Schiffe vorbeifuhren, aber stets parallel zum Land. Der nächste Anleger war zwei Stunden entfernt.
Sein nächster Gedanke war, dass sich womöglich ein Wanderer zu seinem Häuschen verirrt hatte. Er konnte jedoch keine Menschenseele entdecken, auch nicht das suchende Licht einer Taschenlampe.
Hinter ihm bewegte sich etwas.
Der Reverend drehte sich um und sah, wie eine Gestalt auf ihn zutaumelte.
Er erstarrte. Sein erster Gedanke war, dass er einem Einbrecher gegenüberstand. Er wollte ihm gerade erklären, dass er kein Geld im Haus aufbewahrte, als die Gestalt in das herabfallende Mondlicht trat.
»Unmöglich«, flüsterte er.
Der Mann, der immer weiter auf ihn zuwankte, war der Fremde.
Die Pflaster klafften bei jedem seiner Schritte auf. Aus seinem Mund, der die ganze Zeit über offen stand, tropfte dasselbe schwarze, triefende Zeug, das er kurz vor seinem Tod erbrochen hatte.
Oder vor seinem scheinbaren Tod, schoss es dem Reverend durch den Kopf.
Ich habe eben seinen Puls nicht gefunden, das ist alles. Und sein Herz muss einfach zu schwach geschlagen haben, als dass ich es hätte wahrnehmen können.
»G… geht’s Ihnen gut?«, erkundigte sich der Reverend, obwohl er wusste, dass er keine Antwort erhalten würde.
Der Mann kam immer näher. Seine starren Augen waren völlig ausdruckslos. Er hinterließ eine dunkle Blutspur, als seine Füße über den Holzboden schabten.
Er stank erbärmlich. Der widerliche Geruch, der den Reverend nun umhüllte, war doppelt so intensiv wie der vor einigen Stunden, als er den Mann gefunden hatte.
Auch wenn es jedem gesunden Menschenverstand widersprach, sagte ihm irgendetwas tief in seinem Inneren, dass dieser Mann nicht mehr am Leben war. Er war sich sicher, dass er keinen Puls mehr gefühlt hatte, und der Reverend war dem Tod schon oft genug begegnet, um seine hässliche Fratze zu erkennen. Dies war eine Kreatur, die der Teufel persönlich geschickt hatte, und sie schlurfte immer weiter auf ihn zu.
Der Reverend drehte sich um und suchte verzweifelt nach einer geeigneten Waffe.
Er durchwühlte die Schubladen, bis er ein großes Küchenmesser fand. Als er sich wieder zurückdrehte, war das Ding keine zwei Meter mehr von ihm entfernt.
»VERSCHWINDE!«, brüllte er und fuchtelte mit dem großen Messer in der Luft herum. »LASS MICH IN RUHE!«
Doch das Ungeheuer blieb nicht stehen.
Schwarzes Blut pladderte aus seinem Mund und während es sich dem Reverend noch weiter näherte, hob es seine Arme wie in der kranken Parodie einer Umarmung.
»Bitte, geh weg«, flehte er.
Mit steifen, kalten Händen umschloss das Biest die Kehle des Reverends und drückte fest zu.
Der Reverend zerrte an seinen Händen, um sich zu befreien, aber der Griff um seinen Hals war zu stark. Er bekam keine Luft mehr und wehrte sich verzweifelt, doch er spürte, dass seine Kräfte ihn schnell verließen. Er musste irgendetwas unternehmen, bevor das Leben vollständig aus seinem Körper gequetscht wurde.
Der Reverend ließ das Messer niedersausen und trieb die Klinge mit solcher Wucht durch die Schädeldecke der Kreatur, dass es ihm gelang, das Messer bis zum Griff hineinzujagen.
Das Vieh ließ ein ohrenbetäubendes Brüllen hören und aus seinem Mund quoll noch mehr Blut. Es legte seine Hände um das im Schädel begrabene Messer, was von einer tiefroten Lawine quittiert wurde. Es stieß einen letzten Schrei aus, dann wurde sein Körper vollkommen schlaff und sank zu Boden.
Mit weit aufgerissenen Augen und blutüberströmtem Gesicht stand der Reverend vollkommen reglos und ungläubig da. Ungläubig, dass dieser Mann wirklich auf ihn zugewankt war und er selbst diese Tat vollbracht hatte. Er war ein Mörder. Er hatte eines von Gottes Geschöpfen getötet, auch wenn es abscheulich anzusehen gewesen war.
»Was habe ich nur getan?«, wimmerte er.
Dafür werde ich furchtbar bestraft werden.
Er wandte sich von der ausgestreckt auf dem Boden liegenden menschlichen Hülle ab und eilte zur Tür in die milde Nachtluft hinaus. Im hohen Gras fiel er auf die Knie und übergab sich lange und heftig.
Als sein Magen schließlich leer war, wischte sich der Reverend den Mund ab und erhob sich wieder. Die leichte Brise fühlte sich gut an, als sie über den kalten Schweiß wehte, der von seinem Gesicht
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