Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Stadt oder der Kirche entfernt. Bis vor wenigen Jahren war er hier zufrieden und geborgen gewesen. Mittlerweile hingen zu viele traurige Erinnerungen daran.
Es war Spätnachmittag und die Sonne setzte am Horizont bereits zu ihrem Sinkflug an, als sie das Haus erreichten. Der Reverend führte den Mann hinein und setzte ihn an den Küchentisch.
»Wir sollten erst mal Ihre Wunden versorgen, mein Freund.« Der Reverend ging ins Badezimmer, griff nach einer Tube mit antiseptischer Salbe, einigen Pflastern und einer Tüte mit Wattebällchen. Er ging zu dem Mann zurück und legte alles auf den alten Holztisch.
»Das brennt jetzt vielleicht ein bisschen, in Ordnung?«
Der Mann starrte mit leerem Ausdruck auf die Tür.
Der Reverend verteilte ein wenig Salbe auf ein Wattebällchen und tupfte damit vorsichtig die blutigen Wunden ab. Der Mann zuckte jedoch nicht zusammen oder kreischte vor Schmerzen auf. Erstaunt fuhr der Reverend fort, ihn zu säubern und zu verbinden.
Als Nächstes ließ er die Badewanne mit dampfend heißem Wasser volllaufen. Er half dem Mann, sich auszuziehen – seine nasskalte Kleidung warf er in den Müll – und in die Wanne zu steigen. Er reichte ihm ein Stück Seife und schloss die Badezimmertür, um ihm ein wenig Privatsphäre zu geben. Im Schlafzimmer suchte der Reverend ein paar alte Klamotten zusammen und ging dann in das kleine Wohnzimmer hinüber, wo er das Telefonbuch nach Kliniken in der Umgebung absuchte. Es gab nur zwei, die nächstgelegene war eine Autostunde weit entfernt.
Er rief die erste Nummer an. Dort lagen keine Meldungen über vermisste Patienten vor. Als er mit der zweiten Klinik telefonierte, sagte man ihm dasselbe.
Er bedankte sich für die Auskunft und legte verwundert wieder auf. Wer war dieser Mann?
Vielleicht war er ja auch in einem privaten Heim untergebracht. Wenn das zutraf, dürfte es schier unmöglich werden, herauszufinden, woher der Fremde kam. Er hatte die Taschen in der abgerissenen Kleidung des Mannes durchsucht, bevor er sie weggeworfen hatte, jedoch keinen Ausweis oder andere Dokumente vorgefunden.
Alles, was er entdeckt hatte, war ein kleines, zerfetztes Tagebuch in der hinteren Hosentasche. Die Seiten waren völlig durchnässt und klebten aneinander. Er hatte es zum Trocknen auf ein Regal im Wohnzimmer gelegt.
Der Reverend entfernte sich vom Telefon und ging zum Badezimmer zurück.
Er klopfte an die Tür und trat ein.
Er runzelte die Stirn. Der Mann verharrte unverändert in genau der Position, in der er ihn zurückgelassen hatte – mit angezogenen Knien, das Stück Seife fest in seiner Hand.
Der Reverend schüttelte den Kopf und grinste. »Sie sehen noch genauso dreckig aus wie vorhin, als ich Sie gefunden habe.«
Er stieß einen kurzen Seufzer aus, tat einen Schritt auf die Badewanne zu und nahm dem Mann die Seife aus der Hand.
Als der Reverend anschließend die Küche betrat, stand der Mann am Fenster und starrte auf den zunehmend dunkleren Himmel hinaus. Er trug die alte Kleidung des Reverends und roch entschieden sauberer. Aufgrund der vielen Pflaster wirkte er trotzdem ziemlich abschreckend.
Der Reverend schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und gesellte sich zu ihm. »Morgen bringe ich Sie zurück an den Strand, alles klar?« Er fasste den Mann am Arm und spürte, dass dieser sich wehrte. »Kommen Sie, jetzt können Sie doch sowieso nicht mehr viel sehen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie morgen wieder zum Meer begleite. Dann können wir den ganzen Tag dort verbringen.«
Er führte den Mann zum Tisch hinüber, wo er sitzen blieb, während der Reverend das Abendessen zubereitete.
»Wie klingt Rindereintopf?«, rief der Reverend über seine Schulter. Er wusste zwar ganz genau, dass er keine Antwort erhalten würde, aber das störte ihn nicht. Es gefiel ihm, ein wenig Gesellschaft zu haben, auch wenn diese Gesellschaft ziemlich einfältig war. Er drehte sich wieder um und begann das Fleisch zu schneiden.
Eine Stunde später trug der Reverend einen großen Teller mit Eintopf zu dem Mann hinüber und stellte ihn vor diesem ab.
»Bitte schön«, sagte er mit einem Nicken. »Lecker und herzhaft.«
Der Mann saß nur da und starrte auf den Berg, der vor ihm stand. Er schien keine Ahnung zu haben, was er damit anfangen sollte.
Der Reverend griff nach dem Löffel und steckte ihn dem Mann in die Hand. Dann zeigte er ihm, wie er das Besteck zum Mund führen konnte. Wie ein unwissendes Kind ahmte der Mann den Reverend nach und schob sich einen
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