Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
offensichtlichen Angst in seinen Augen einen selbstbewussten Eindruck zu vermitteln.
»Das ist der Typ, der vorhin dazwischengerufen hat«, informierte Stewart seine Eltern. »Er wollte wissen, was los ist und was der Mann eigentlich will.«
»Tapferer Mann«, stieß Luke aus.
»Oder dumm«, entgegnete Stewart und sah zu seinem Vater hinüber. Sie warfen sich ein nervöses Grinsen zu und schenkten ihre Aufmerksamkeit dann erneut dem Geschehen auf dem Bildschirm.
»Ja, Sie«, sagte der Mann. »Sie hatten doch vorhin auch eine Menge zu sagen. Kommen Sie auf die Bühne.«
Der hoch aufgeschossene Mann erhob sich und schaute sich eingeschüchtert um.
Die Kamera zeigte die Meute der glatzköpfigen Anhänger, die grinsend ihre Waffen im Arm wiegten. Sie hatten sich in einem Abstand von zwei Metern am Rand des gesamten Zuschauerraums verteilt.
Der Ausgewählte trat aus seiner Sitzreihe und schritt den Gang entlang.
»Einen Applaus bitte für unseren Freiwilligen«, brüllte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er begann zu klatschen, aber wenig überraschend blieben die Zuschauer still und ließen ihn allein applaudieren.
»Dave, wie wär’s mit ein bisschen Musik?«, rief er. »Irgendwas Jazziges.«
Während die Kamera dem nächsten Kandidaten folgte, erklang eine schwache Version von »One« aus A Chorus Line im Studio – es war eine widerliche Farce. Der Mann betrat die Bühne und setzte sich auf den Sessel, den Doris zuvor nicht benutzt hatte.
Der Mann hinter dem Schreibtisch brachte mit einer Handbewegung die Band zum Verstummen.
»Also, wie heißt denn unser großer Junge?«
Der Hüne starrte auf Doris’ blutige Leiche hinunter. Er schloss die Augen. Sein Gesicht war entsetzlich blass. »John«, antwortete er.
»John! Willkommen in meiner Show. Sie wissen ja, wie das Spiel funktioniert. Ich wette, Sie haben im Lauf ihres Lebens schon viele Gameshows gesehen, Sie hirnloser Zombie. Auch Sie wurden von den reichen Schweinen darauf programmiert, was Ihnen zu gefallen hat und was Sie sich anschauen sollen. Die senden über ihre Fernsehshows nämlich geheime Botschaften, die Ihnen regelrecht das Gehirn waschen. Ich weiß genau, wie sie dabei vorgehen, und meine Familie auch!«
Der Mann erhob sich und richtete seine Arme gen Himmel, fast als wolle er ein kollektives »Gepriesen sei der Herr!« in seiner Kirche anstimmen.
»Dies ist das Böse, das zerstört werden muss. Es wurde auf diese Erde geschickt, um unseren Glauben und die tiefe Überzeugung unserer Seelen zu testen!«
Der Mann schloss die Augen und hörte zu, wie seine Anhänger seine Bezeugung nachsangen. Die Kamera blieb auf den schwitzenden Mann gerichtet. Schließlich setzte er sich wieder und atmete tief ein. »Wir werden euch alle bekehren und das wahre Böse enthüllen.«
Er öffnete seine Augen und grinste den großen Mann an. »Musik, bitte, Dave.«
Erneut erklang das Arpeggio-Stück im Hintergrund.
»Erste Frage, Little John. Was ist das Böse, das wir zu zerstören suchen?«
Der große Mann blickte ins Publikum und sah dann wieder den kleinen, kahlköpfigen Irren an.
»Äh, das Fernsehen«, antwortete er.
»Das ist korrekt!«, rief der Mann aus. »Es besteht also doch noch Hoffnung für die Menschheit!«
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte. »Nächste Frage, Little John. Wer hat am Ende des ersten Rocky -Films gewonnen – und wie?«
John legte seine Stirn in Falten. Er schien verwirrt darüber zu sein, dass der Mann ihm eine verhältnismäßig einfache Frage gestellt hatte. Er räusperte sich.
»Äh, Apollo Creed hat gewonnen. Weil, äh … also … er hatte die meisten Punkte?«
»Sehr gut.« Der Mann klatschte. »Sie sind wohl ein Rocky -Fan?«
»Ja.«
»Ich auch. Großartige Filme. Sie machen das sehr gut, Little John. Stimmt’s, Dave?«
Die Kamera schwenkte erneut.
»Wenn Sie es sagen«, sagte Dave, und seine Finger huschten blitzschnell über die Klaviatur.
Die Kamera wanderte wieder zu dem seltsamen Moderator zurück, der breit grinste und mit dem Kopf nickte. »Das ist richtig, Dave. Wenn ich es sage. Nächste Frage: Wie viele Menschen hat Andrej Chikatilo umgebracht?«
John starrte auf Doris’ leblosen Körper hinunter und begann zu schluchzen.
»Weißt du das?«, fragte Luke seinen Sohn.
»53. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Rekord hält.«
»Ich glaube nicht, dass John es weiß«, seufzte Luke.
»Ich kann mir das nicht anschauen«, schrie Pam McGregor und erhob sich. »Das ist
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