Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Bildschirm. Was er sah, entsetzte ihn. Die Kamera verweilte noch immer auf der Leiche des Mannes. So wie sein Kopf zu Boden gefallen war, gleich neben einer Frau, starrte sein Gesicht – oder was davon noch übrig war – direkt in die Linse.
»Widerlich«, ächzte James Gardiner.
Die Kamera schwenkte wieder zurück zum Moderator. Der kahlköpfige Mann mit dem langen Bart grinste. Er schaute zu Dave Morrison hinüber. »Was meinst du, wie läuft die Show bisher so?«
Die Kamera fing das sehr blasse Gesicht und die verquollenen Augen von Dave Morrison ein. »Sie sind krank«, keuchte er. »Unschuldige Menschen umzubringen.«
Die Kamera zeigte weiterhin den verheulten, aber wütenden Dave. Von der Seite war ein Grummeln zu hören, das vermutlich von dem kahlköpfigen Mann stammte.
»Warum hört ihr bloß auf diesen Irren?«, schrie Dave und schaute ins Publikum. »Er erzählt uns hier, dass das Fernsehen den Leuten das Gehirn wäscht, aber genau dasselbe macht er doch auch mit euch! Er benutzt euch nur! Er nutzt eure Verletzlichkeit aus und wäscht euch allen das Gehirn!«
Einer der Anhänger des Mannes rannte über die Bühne ins Blickfeld der Kamera.
Dave blieb hinter seinen diversen Keyboards stehen. »Fickt euch! Ich hab keine Angst vor euch armen Irren. Ihr seid krank! Ihr seid Loser, unbedeutende Nieman…«
Erschrocken rang das Publikum kollektiv nach Luft, als der kahlköpfige Mann von oben ein riesiges Messer in Dave Morrisons Kopf rammte.
Das Luftschnappen wich Schreien, die vom lärmenden Stampfen zahlreicher Füße untermalt wurden. Plötzlich schwenkte die Kamera nach oben und blieb an den Sparren unter der Decke hängen. Unzählige Schüsse knallten und dann war auf dem Bildschirm nur noch Schneegestöber zu sehen.
»Mein Gott, was ist denn jetzt passiert?«, stieß Jay Waterhouse aus.
»Habt ihr gesehen, wie das Messer …?« James Gardiner stöhnte laut und schüttelte den Kopf.
»Ich schätze, der Kameramann ist in Ohnmacht gefallen.«
Die anderen zuckten zusammen, als sie Mike Barrys Stimme hörten.
»Ich dachte, du wolltest duschen«, bemerkte Lou. Er drehte sich um und blickte seinen Mitbewohner an, der sich mit starrem Blick auf das andere Bett setzte.
Mike Barry zuckte die Achseln. »Die Dusche kann warten.«
4: (im Haus der Familie Layford)
Julie schlurfte wieder ins Wohnzimmer, in dem ihre 15-jährige Tochter das weiße Schneegestöber auf dem Fernsehbildschirm anstarrte.
»Ich hab ihn endlich erreicht«, sagte Julie. Sie ließ sich mit einem Seufzer in den Sessel fallen.
Thalia Layford drehte den Kopf. »Ist Dad auf dem Polizeirevier?«
»Ja. Er ist mit ein paar anderen Beamten dort geblieben.«
Gott sei Dank, dachte sie.
Thalia schenkte ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher, sah, dass die Übertragung immer noch ausgefallen war, erhob sich und setzte sich neben ihre Mum in den Sessel. »Weiß er, was los ist? Was hat er gesagt?«
Julie griff nach der Zigarettenschachtel, die auf dem Couchtisch lag, schüttelte eine Kippe heraus und steckte sie zwischen ihre Lippen. »Anscheinend gleicht die Stadt einem Irrenhaus. Das FBI ist da und Polizisten aus ganz New York. Dad hat gesagt, dass einer der Typen dieses Kults am Anfang der Show im FBI-Hauptquartier angerufen und ihnen mitgeteilt hat, dass sie die Marty Laffin Show unter ihre Kontrolle gebracht haben. Er hat dem FBI gesagt, sie seien 30 Mann, allesamt schwer bewaffnet und hätten sämtliche Türen verschlossen.«
Julie unterbrach sich und atmete tief ein. Dann zündete sie ihre Zigarette an.
»Schon okay, Mum. Dad ist nicht dort. Er ist auf dem Revier, er ist in Sicherheit.«
»Ich weiß«, erwiderte Julie und lächelte ihre Tochter flüchtig an, während sie eine Rauchwolke in die Luft blies. »Aber vielleicht wird er ja trotzdem noch angefordert. Diese Typen sind vollkommen wahnsinnig. Das ist ein Kult. Weißt du, was das bedeutet?«
Thalia verdrehte die Augen. »Natürlich weiß ich, was ein Kult ist. Ich bin kein Idiot, Mum.«
»Nein«, kicherte Julie. »Ich meine, weißt du, wie ein Kult normalerweise funktioniert?«
»Wie meinst du das?«
Julie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette, bevor sie fortfuhr. »Kulte begehen oft Massenselbstmord. Diese Leute würden lieber durch ihre eigene Hand sterben, als von der Polizei geschnappt zu werden. Na ja, in Wahrheit ist es eigentlich der Anführer, der nicht geschnappt werden will. Er befiehlt seinen ergebenen Anhängern dann, ihm ins Königreich der
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