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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Der Schiedsrichter, ein blasser hellblonder Hänfling, dem überdeutlich die Erleichterung anzusehen war, sich nicht selber am Kampfgeschehen beteiligen zu müssen, begann langsam zu zählen.
    Michele konnte sich eine kurze Verschnaufpause gönnen und benutzte sie, um Giovanni anzugrinsen. Zwei Finger zum frechen Siegeszeichen gespreizt – wie ein junger, erhitzter Faun sah er aus, quicklebendig, voller Übermut. Zu seiner Bestürzung spürte Giovanni, wie sein Glied plötzlich hart wurde. Zum Glück verbarg die obligatorische Kutte diese Peinlichkeit, und dennoch hatte der Junge das Gefühl, als wisse die gesamte Runde Bescheid und starre ihn angeekelt an. Er wandte sich ab, tat, als sei ihm etwas zu Boden gefallen, und begann schleunigst die ersten Verse des schmerzhaften Rosenkranzes zu beten. Seiner Erektion freilich schien diese fromme Eingebung vollkommen einerlei; er hatte im Gegenteil das Gefühl, als wachse sie erst recht weiter. Was sollte er tun? Er war inzwischen so erregt, dass es nur noch wehtat.
    Der Bär hatte sich währenddessen mühsam wieder hochgerappelt und setzte noch tapsiger als bisher den Kampf fort. Schließlich jedoch gelang es ihm, Michele einen mächtigen Kinnhaken zu verpassen, der diesen zu Boden trieb.
    Jetzt vergaß Giovanni seine Erektion, so sehr bangte er um den niedergestreckten Freund.
    »Sieben, acht, neun, zehn …«
    Michele blieb kraftlos liegen, mit eingerissener, blutiger Unterlippe, Albano riss die Arme empor. Der Kampf war entschieden, der Bär überraschender Sieger der Partie.
    Später dann, als sie sich nebeneinander auf den verwanzten Strohsäcken zur Nachtruhe ausgestreckt hatten, fand Giovanni keinen Schlaf. Die inzwischen schorfig angetrockneten Blessuren an Stirn und Lippe hatte Michele mit einem lässigen Schulterzucken übergangen, als seien es lediglich Kleinigkeiten, die ihn nicht weiter berührten, genau so, wie der Prediger es ihnen eingeschärft hatte.
    »Meine Engel kennen keinen Schmerz, denn sie sind wahre Männer. Ihr Herr ist Christus, doch sie sind alle meine Söhne. Als treuer Diener des Herrn bin ich ihr wahrer liebender Vater. Einem Vater gehorcht man ohne Widerrede. Wer sich gegen ihn zu erheben wagt, wird die Rute zu spüren bekommen …«
    Was hatte all das zu bedeuten? Unzählige Gedanken schossen Giovanni durch den Kopf.
    Der Vater war niemals besonders freundlich zu ihm gewesen, soweit Giovanni sich erinnern konnte, ganz anders als der Kanonikus Domenico, Mutters jüngerer Vetter, der stets ein aufmunterndes Wort für ihn übrig gehabt hatte. Enea verhielt sich, als sei der Sohn ihm eher lästig, bis auf ein paar spontane Backpfeifen allerdings, die nicht wirklich schlimm gewesen waren, hatte er Giovanni niemals ernsthaft gezüchtigt. Beim Gedanken an ihn stieg beinahe so etwas wie Heimweh in dem Jungen auf, das er freilich zu unterdrücken versuchte. Er wälzte sich auf dem harten Lager hin und her, ohne eine bequemere Stellung zu finden, und dachte wehmütig an sein weiches Bett zu Hause und an die köstlichen Mahlzeiten, die die stets um ihn besorgte Mutter ganz nach seinen Vorlieben hatte zubereiten lassen.
    Inzwischen tat es ihm leid, dass er auf dem Platz die Hand gegen sie erhoben hatte. Natürlich hatte er gesehen, dass sie gefallen war, und auch, dass sie heftig geblutet hatte. Aber wie hätte er es wagen können, sich dort um sie zu kümmern – vor den Augen Micheles und all der anderen Engel?
    Denn dort, wo er jetzt lebte, herrschte das Gesetz der Wölfe. Die Stärkeren dominierten die Schwächeren und nahmen ihnen rücksichtslos alles ab, was nicht schon zuvor der Prediger konfisziert hatte. Zu Ersteren gehörte auch Michele, weniger wegen seiner körperlichen Überlegenheit, sondern weil er unter den Jungen als einer der Klügsten galt. Erzengel, so lautete der Spitzname, den sie ihm verliehen hatten, und er trug ihn mit Würde und elegantem Selbstvertrauen.
    Was offenbar auch dem Prediger nicht entgangen war. Vielleicht rief der padre ihn deshalb öfter zu sich als andere. Stunden konnten verstreichen, bis Michele irgendwann in der Nacht neben Giovanni auf das Stroh zurückkehrte, müde, sichtlich zerschlagen und trotzdem zum Streiten aufgelegt, wenn er ihn nicht in Ruhe ließ. Auf neugierige Fragen hatte er bislang stets unwirsch reagiert.
    »Was soll ich dir schon erzählen?«, sagte Michele mit patzigem Unterton. »Wir sind zusammen. Das ist alles.«
    »Aber was macht ihr die ganze Zeit? Beten?«
    »Glaubst du vielleicht,

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