Die Sünderin von Siena
Stuhllehne. »Die beiden denken, damit sei die Sache vorbei und erledigt? Da täuschen sie sich aber gewaltig!«
»Ich kann deinen Ärger gut verstehen«, sagte Gemma. »Und mehr noch, Caterina, ich teile ihn sogar. Denn dieser Bernardo ist gefährlich, das habe ich erst neulich am eigenen Leib erfahren müssen.«
In kurzen Zügen schilderte sie ihre Erlebnisse während der Predigt und die anschließende Massenhysterie und erzählte auch von Bice di Nero, die im Gewühl niedergeschlagen und am Kopf verletzt worden war.
»Vom eigenen Sohn, stell dir das vor!«, sagte Gemma. »Er hatte keinerlei Skrupel, brutal mit dem Stock auf seine Mutter einzuprügeln. Der Prediger hetzt seine Engel gegen alles, was sie an ihre Herkunft erinnert. Und sie gehorchen ihm blindlings, tun, was immer er von ihnen verlangt. Stell dir nur einmal vor, er lässt sie eines Tages gezielt gegen uns alle antreten! Sie wären zu allem fähig, das weiß ich.«
»Ich möchte diese Frau kennenlernen«, sagte Caterina. »Kannst du sie nicht zu mir bringen?«
»Bice? Sie wäre sicherlich froh, wenn du sie rufen lässt. Sie kam mir sehr einsam und verzweifelt vor.«
Caterina war vor ihrem winzigen vergitterten Fenster niedergekniet, der einzigen Verbindung nach draußen, solange sie ihre Zelle nicht verließ. Die Augen waren geschlossen, die Hände gefaltet. Die kindlich anmutende Brust hob und senkte sich langsam. Es sah aus, als sei sie in eine ihrer oft stundenlangen Versenkungen gefallen.
»Soll ich dich jetzt allein lassen?«, fragte Gemma leise. »Ich kann später noch einmal wiederkommen.«
»Untersteh dich!« Caterina wandte sich ihr zu. »Ich musste nur kurz nachdenken, um wieder Klarheit und Ordnung in meinen Kopf zu bekommen. Ich soll mich also nicht einmischen? Das könnte ihnen so passen! Wir schreiben meinen Brüdern eine Antwort, die sich gewaschen hat – und du wirst sie auf der Stelle zu Stefano und Puccio tragen. Versprichst du mir das?«
»Das kann ich gern tun. Aber wir müssen uns damit beeilen«, sagte Gemma, »denn ich will unbedingt zu Hause sein, bevor mein Vater zu seiner Reise aufbricht.«
»Worauf wartest du dann noch?« Ein Lächeln erhellte Caterinas Gesicht. »Lass uns anfangen!«
Sie begann zu diktieren, doch lange nicht so hastig und atemlos wie beim letzten Mal, sondern überlegter, mit vielen Pausen und zahlreichen Korrekturen. Als der Brief fertig war, ließ sie ihn sich von Gemma dreimal vorlesen, wobei sie beim Zuhören mehrmals ihre Sitzhaltung änderte.
»Er soll sie in jeder Hinsicht berühren«, erklärte sie, als sie Gemmas fragenden Blick spürte. »Damit sie ihn nicht gleich wieder als weibisches Geschwätz abtun können.«
»Das sind sehr kluge Worte, die du mir diktiert hast«, sagte Gemma. »Kein Mann hätte sie besser formulieren können. Ich hoffe, sie treffen direkt in ihr Herz.«
Wieder errötete Caterina, und dieses Mal war es aus reiner Freude. »Du erledigst die Niederschrift gleich nebenan in der Küche?«, fragte sie. »Es wäre mir sehr wichtig.«
»Vorausgesetzt, Mamma Lapa ist nicht schon wieder am Backen oder Brutzeln«, erwiderte Gemma mit einem Lächeln. »Dann dürfte es etwas schwierig sein.«
»Das werden wir ebenfalls ändern.« Caterina klang sehr ernst. »Wir lassen ein Tischchen und einen zusätzlichen Stuhl in meine Zelle bringen. Damit du künftig genügend Platz zum Arbeiten hast. Denn du wirst doch wiederkommen, um für mich zu schreiben, Gemma?«
Gemma nickte.
»Und wirst du mir auch beibringen, wie man die Buchstaben nacheinander setzt?«, fuhr Caterina leise fort. »Und man sie anschließend lesen kann? Dies alles mit einer großen Portion Geduld, um die ich dich herzlichst im Namen der allerheiligsten Gottesmutter bitte, sollte ich mich vielleicht doch dumm oder ungeschickt dabei anstellen.«
»Du wirst es blitzschnell begreifen, das weiß ich. Aber jetzt muss ich mich wirklich sputen.«
Gemma erledigte die Niederschrift in ungewöhnlicher Hast. Sie verschrieb sich einige Male, was sie normalerweise gestört hätte, doch heute war keine Zeit, um auf solche Kleinigkeiten zu achten. Mit dem fertigen Brief in der Hand trat sie auf die sonnendurchflutete Gasse. Am liebsten wäre sie auf der Stelle zu Mamma Lina gelaufen, um endlich den dummen Streit zu begraben und die Kinder wiederzusehen, und unmittelbar danach zu Matteo, den sie so sehr vermisste, dass es kaum auszuhalten war. Doch dazu war heute Abend noch Zeit oder auch morgen, wenn Bartolo und Mario
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