Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
ich bin ein elendes Klatschweib? Eines Tages wirst du es selber erfahren – oder auch nicht. Bis dahin musst du dich gefälligst gedulden.«
    Es stank bestialisch im ganzen Gebäude, denn die beiden Abtritte, die der ehemalige Palazzo der Salimbeni besaß, hätten längst vor dem Einsetzen der Sommerhitze geleert gehört, was versäumt worden war. Inzwischen benutzten die meisten Engel kurzerhand die nächste Zimmerecke, um sich zu erleichtern. Auch das restliche Mobiliar hatte stark unter den neuen Bewohnern gelitten. Truhen waren kurzerhand in Kleinholz verwandelt und zum Feuermachen verwendet worden, ein Großteil des Geschirrs war zerschlagen, wertvolle Teppiche hatte man von den Wänden gerissen und zertrampelt. Tagsüber wirkte das große Gebäude gotterbärmlich heruntergekommen; nachts freilich erinnerte manches noch an die einstige Pracht.
    Michele hatte sich im Schlaf auf den Rücken gewälzt. Der Mondschein, der durch die leeren Fenster hereinfiel, teilte sein ebenmäßiges Gesicht in zwei Hälften, eine dunkle und eine, die im Licht war.
    Wie schön er war – wie ein echter Engel!
    Für Giovanni der Einzige unter all den hier Schlafenden, der diesen Namen wirklich verdiente. Die Haut glatt und gebräunt, die Brauen zwei stolze, dunkelblonde Kurven, die Nase leicht gebogen, die Lippen, die auch die Verletzung nicht entstellen konnte, fest und doch voller Schmelz. Wie herrlich seine Haare schimmerten, in denen sich alle nur denkbaren Abstufungen von Weizenblond, Braun und frechem Rot mischten. Am meisten angetan jedoch hatte es Giovanni die straffe Linie von Micheles Kinn, die etwas Kühnes, beinahe Herrisches an sich hatte, und die Halskuhle, die dagegen so zart und verletzlich wirkte. Am liebsten hätte Giovanni sich an ihn geschmiegt oder sich wie ein Liebender über ihn gebeugt und ihn inniglich geküsst.
    Da war sie wieder, diese gottverdammte Erektion, härter und unnachgiebiger sogar als während des erbitterten Kampfes! Giovanni starrte an sich hinab, als entdecke er ein widerliches Reptil. Er war ein Mitglied der heiligen Familie Bernardos, der nichts so verachtete wie sodomitische Triebe – und war selber einer der Verdorbensten! Keine Predigt, bei der der Prediger nicht das schändliche Tun jener Verlorenen auf das Schärfste geißelte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, sollte der padre seine satanische Veranlagung jemals herausfinden!
    Peccatum mutum , dachte Giovanni. Das kann, das darf nicht sein! Ich bin doch keiner dieser Widerlinge, die verbrannt gehören, sondern der einzige Sohn des Richters Enea di Nero und seiner Frau Bice, die beide fromme, rechtschaffene Leute sind. Das musst du doch wissen, Heiligste der Heiligen – natürlich weißt du das! Verschone mich vor dem Scheiterhaufen, barmherzige Muttergottes, und befreie mich Unwürdigen von all meinen Sünden und Gelüsten! Darum flehe ich aus tiefstem Herzen zu dir. Zum Dank dafür gelobe ich, dir treu und ergeben zu dienen bis zum Ende meiner Tage.
    Er wartete auf ein Zeichen, doch nichts geschah. Die göttliche Hilfe, derer er gerade jetzt so dringlich bedurfte, blieb aus. Sein Glied war weiterhin lüstern und steif, bis zum Platzen gespannt. So wusste er schließlich keinen anderen Ausweg, als unter der kratzigen Pferdedecke, die er in wachsender Verzweiflung über sich gezogen hatte, selber Hand an sich zu legen, um sich endlich zu erlösen.

    ❦

    Dumpfe Unruhe erfüllte Gemma schon seit dem Erwachen. Sie schrieb sie zunächst dem häuslichen Wirbel zu, den Lavinia jedes Mal veranstaltete, wenn Bartolo sich anschickte, zu einer seiner Reisen aufzubrechen. Oftmals hatte sie seine Anordnungen, was das Packen betraf, so umständlich ausführen lassen, dass er erst später als geplant hatte aufbrechen können. Auch heute schien sie alles daranzusetzen, ihren Mann nach Möglichkeit aufzuhalten, doch ihr Plan misslang. Bartolo Santini kümmerte sich diesmal selber um die Dinge, die er mitnehmen wollte.
    »Viel ist es ja ohnehin nicht. Ich werde doch kein halbes Jahr unterwegs sein, Lavinia!«, sagte er stirnrunzelnd und starrte auf seine prall gefüllten Satteltaschen, in die nicht einmal das dünnste Pergament mehr gepasst hätte. »Du tust ja geradezu, als wolle ich zu einer lebensgefährlichen Expedition durch die Wüste aufbrechen!«
    »In gewisser Hinsicht ähnelt die Küste durchaus der Wüste.« Ihre Stimme klang schrill. »Und genau aus diesem Grund ist mir auch so bang vor dieser Reise. Denn hie wie dort gibt es

Weitere Kostenlose Bücher