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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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…«
    Das Rauschen verstärkte sich. Genauso gut hätte Carsedoni zu einem Tauben reden können. Matteo wusste, wie unhöflich sein Benehmen war, und dennoch konnte er nicht anders, er musste sie weiterhin anstarren. Gemma saß neben einer jungen Frau, die einen dichten Schleier trug, doch für die hatte er kaum mehr als einen flüchtigen Blick. Und jetzt trat auch noch Celestina zu den beiden, beugte sich halb über sie und begann eifrig auf sie einzureden.
    Was sie wohl gerade sagte? Was hätte er nicht alles gegeben, um das zu erfahren!
    Der rundliche Domherr war verstummt, vielleicht sogar schon eine ganze Weile, aber Matteo fiel das erst jetzt auf. Mit einer Geste des Bedauerns wandte er sich zu ihm – und erschrak.
    Domenico Carsedoni sah aus wie vom Blitz getroffen, das Gesicht aschfahl, die Lippen erschlafft. Die frische Jugendlichkeit war aus seinen Zügen gewichen. Plötzlich konnte man sich vorstellen, wie er einmal als älterer, hinfälliger Mann aussehen würde.
    »Was habt Ihr?«, fragte der Maler. »Was ist auf einmal mit Euch? So redet doch, ich bitte Euch, Monsignore!«
    Unverständliches Gurgeln war die Antwort. Dabei starrte der Domherr ebenso in jene Richtung, die ihn selber so unwiderstehlich anzog.
    Die Frauen schienen nichts von dem ungewöhnlichen Interesse bemerkt zu haben, das sie auslösten; sie unterhielten sich lebhaft weiter, scheinbar so ins Gespräch vertieft, dass keine von ihnen den zerlumpten Jungen wahrnahm, der sich ihrer Bank näherte. Er fasste sich an die Brust, zog dann etwas aus seinen Fetzen, das im Sonnenlicht silbrig aufleuchtete. Während er noch die blitzschnelle Bewegung ausführte, ahnte Matteo bereits, was er im Schild führte.
    »Achtung!«, rief er und sprang ungestüm auf. »Die Tasche! Er hat sie einfach abge…«
    Da rannte der kleine Dieb bereits davon, als sei ihm Beelzebub höchstpersönlich auf den Fersen.
    Matteo setzte ihm nach, doch der Kleine war flink und schlug Haken wie ein Feldhase, der in Bedrängnis gerät. Seine magere Statur ließ ihn überall leicht durchkommen, was für den erwachsenen Mann, der ihn verfolgte, schwieriger war. Jedenfalls vergrößerte sich sein Vorsprung unablässig, bis ihn schließlich ein umgefallenes Fass abrupt aufhielt.
    Der Maler bekam ihn am Arm zu packen und hielt ihn fest, obwohl der Junge sich schlangengleich wand und dabei wild um sich trat. Als er versuchte, seine spitzen Zähne in Matteos Hand zu schlagen, holte der aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    Im nächsten Augenblick sackte der Maler zusammen und fiel zu Boden. Zwei Knüppel, die auf seine Nieren geprasselt waren, hatten ihm die Luft genommen.
    »Genug! Lasst ihn in Ruhe!«, hörte er eine tiefe Stimme sagen. »Und du, erhebe niemals wieder die Hand gegen einen meiner Engel!«, fuhr sie schneidend fort. »Denn sie sind die Zukunft, die Posaunen des Jüngsten Gerichts, während du nichts anderes bist als Vergangenheit, Sünde und Staub.«
    Matteo blickte schmerzverzerrt auf und schaute in ein ausgemergeltes, stoppeliges Gesicht, in dem schwarze Augen brannten. Doch er hatte sich getäuscht, wie er beim zweiten Blick feststellen musste, ein Resultat vorschnellen Einordnens, vor dem er seine Lehrlinge stets gewarnt hatte. Bei näherem Hinsehen waren die Augen aschgrau, mit einem weißen Ring um die Iris, und zudem nicht ganz auf gleicher Höhe, was ihrem Ausdruck etwas Verschlagenes gab.
    »Der Dieb soll ein Engel sein?« Matteo versuchte die stechenden Schmerzen am Rücken zu ignorieren, so gut es ging. »Und Posaunen? Vielleicht Posaunen der Hölle, wo der Leibhaftige regiert. Aber hier, in unserer schönen Stadt, ist das ein Dieb.«
    »Ein Dieb? Pass ganz genau auf, was du da sagst!«
    Die Knüppel waren bereits wieder in Position.
    »Nun, wie würdet dann Ihr jemanden bezeichnen, der heimlich fremde Taschen abschneidet?«, sagte Matteo.
    Mit jedem Wort bekam er besser Atem. Als er wieder einigermaßen sicher auf den Füßen stand, überragte er den anderen um Haupteslänge. Die beiden Halbwüchsigen aus dessen Gefolge, die ihn angegriffen hatten, verzogen keine Miene, hielten ihre Knüppel aber noch immer einsatzbereit. Inzwischen waren mehr und mehr Schaulustige herbeigeströmt, die einen neugierigen Kreis um die Kontrahenten bildeten.
    Der Bärtige griff nach hinten, zerrte den widerstrebenden Jungen vor Matteo und hielt ihn am Ohr fest.
    »Ist es wahr, was dieser Mann behauptet, mein Sohn?« Die schwarze Kutte unterstrich die düstere

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