Die Sünderin von Siena
Schlund gründlich überprüft – bei den anderen ebenso. Zum Glück ist bislang nichts von dem scheußlichen Belag zu sehen, der die Kinder im Hospital so plagt, aber das muss leider noch nichts heißen. Wir brauchen eine starke Medizin«, sagte Gemma. »Und ich weiß auch schon, woher wir sie bekommen werden.«
»Solche Medizin ist teuer«, gab Mamma Lina zu bedenken. »Und meine Ersparnisse sind leider nicht unerschöpflich. Ich wusste nicht, dass das Leben in Siena so aufwendig ist. Und wie knauserig die Zuwendungen von Santa Maria della Scala ausfallen würden.«
»Mach dir darüber keine Sorgen!«, sagte Gemma. »Ich hab da bereits etwas ganz Konkretes im Sinn.«
»Du meinst – deinen Vater?«
Gemma nickte.
»Höchste Zeit, dass er erfährt, wo ich jetzt lebe. Ich denke, er wird mich verstehen. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte mindestens ein Dutzend Kinder aufgezogen.«
»Aber dazu ist es nicht gekommen.« Die junge Frau klang sehr ernst.
»Nein«, sagte Gemma. »Drei Töchter – das ist alles, was ihm vergönnt war. In gewisser Hinsicht könnte man sagen, dass er nicht gerade viel Glück mit seinen Ehefrauen hatte. Meine Mutter ist noch in jungen Jahren wegen eines verrosteten Nagels gestorben. Und Lavinia, die er nach ihr freite, brachte zwar schöne Weinberge und Olivenhaine mit in die Ehe, leider aber neigte sie zu allzu frühen Geburten. Teresa war so winzig, als sie auf die Welt kam, dass man sie in einen Krug stecken konnte, Lucia so kümmerlich und schwach, dass wir monatelang um ihr winziges Lebensflämmchen fürchteten. Meine Stiefmutter hätte diese Geburt beinahe nicht überlebt. Eine weitere Niederkunft hätte ihren Tod bedeutet. Ich denke, mein Vater hat sich inzwischen mit seinen drei Töchtern abgefunden.«
»So viel hast du noch nie zuvor über deine Familie erzählt«, sagte Lina.
»Beim nächsten Mal bist aber du an der Reihe.« Gemma erhob sich. »Wenn ich es recht bedenke, dann weiß ich eigentlich noch gar nichts über dich.«
Eine vage Geste. Plötzlich war es, als habe die junge Frau sich innerlich wie äußerlich vollständig zurückgezogen. Wieder einmal hatte Lina es verstanden, Gemmas Fragen nicht zu beantworten, aber das fiel dieser erst auf, als sie im Bett lag und bereits schlaftrunken das Tap-Tap der nackten Füße Mauros hörte, die sich vorsichtig näherten.
Am nächsten Morgen hatte sie es eilig aufzubrechen. Die frühen Stunden waren jene, die Bartolo und sie am meisten liebten. Da lag der ganze Tag noch vor einem, ebenso unverbraucht wie verheißungsvoll. Die Luft war angenehm kühl, der Himmel blank, weil es die halbe Nacht in Strömen geregnet hatte. Er leuchtete jetzt aber in diesem unvergleichlichen Azurblau, wie man es nur in dieser Jahreszeit zu sehen bekam. Sie hörte lautes Vogelgezwitscher und das Rauschen der großen Brunnen, die niemals schwiegen.
Natürlich glitt ihr Blick im Vorübergehen wieder zu dem Haus des Malers. Heute kam es ihr verlassen vor, als habe er es seit Tagen mehr nicht betreten. Ob es irgendwo in Siena eine Frau gab, mit der er seine Nächte teilte?
Der Gedanke war wie ein scharfes Messer, das sich in sie bohrte. Dabei ging er sie doch gar nichts an, dieser sonderbare Matteo Minucci, der zu tun schien, was immer er wollte, ohne sich um die Meinung anderer zu scheren.
Sie war schon fast am Haus des Malers vorbei, da sah sie aus den Augenwinkeln eine füllige Frau mit einem Ascheneimer, die sich an der Türe zu schaffen machte. Jemand, der bei ihm nach dem Rechten sieht, dachte Gemma, und keine heiße Liebhaberin. Mit einem Male fühlte sie sich so leicht, als könne sie fliegen.
Beschwingt nahm sie den Weg, der hinunter nach San Domenico führte, wo sie sich den Segen der Morgenandacht für ihr heutiges Unterfangen holen wollte. Da hörte sie plötzlich eine zornige Männerstimme, die die morgendliche Stille zerschnitt.
»Zwei Gruppen von Menschen aber häufen die Sünden, drei ziehen den Zorn des Allmächtigen auf sich herab …«
Als sie weiterging, machte ihr in der nächsten Gasse viel Volk ein Fortkommen unmöglich. Die schmale Gasse war heillos verstopft. Nichts als Leiber und Köpfe, wohin sie auch schaute.
»Leidenschaftliche Begierde, sie brennt wie Feuer und erlischt nicht, bis sie sich verzehrt hat. Dann der Mensch, der am eigenen Leib Unzucht treibt und nicht aufhört, bis das Feuer verglüht. Und schließlich der Unbelehrbare, der Ehebruch treibt und denkt: Wer sieht mich …«
Gemma konnte spüren, wie
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