Die Sünderin von Siena
jenen fiebrigen Nächten des Wahnsinns und Schmerzes auf Pergament gebannt hatte. Es hielt sein Fühlen und Denken gefangen, raubte ihm den Schlaf, ließ ihn sogar Essen und Trinken vergessen. Ornelas Mahlzeiten, von Nevio fürsorglich bereitgestellt, verdarben regelmäßig neben der Farbenpalette, den Kalktöpfen und den Malutensilien. Alles in Matteo drängte machtvoll der Vollendung entgegen, und gleichzeitig wuchs seine Angst vor dem allerletzten Pinselstrich.
Barna hatte ihn in Ruhe arbeiten lassen, bis auf den einen Abend, an dem er noch einmal in die Kapelle gekommen war, um mit bleierner Stimme ein paar kleinliche Änderungen zu fordern. Matteo hatte sie umgehend und ohne Widerrede ausgeführt, weil sie ihm nichts bedeuteten. Und schließlich hatte er jenes geheimnisvolle Geschöpf doch noch gemalt, zu Füßen Elisabeths, vom Mantel leicht verdeckt, aber dennoch gut sichtbar. Den Salamander, von dem viele glaubten, Feuer könne ihm nichts anhaben, weil er sich von Flammen ernähre, das uralte Symbol der Transformation und Veredelung in einem.
Aus allen vier Ecken des Bildes leuchtete ihm nun Gemmas Gesicht entgegen: neugierig beim ersten Tempelbesuch, mädchenhaft-schüchtern bei der Verlobung mit Joseph, in heiligem Erschrecken, als der Engel sie mit seiner unerhörten Botschaft überfiel, schließlich in stiller, mütterlicher Vorfreude, während sie sich mit der vertrauten Base Elisabeth traf. Es gab nichts mehr daran zu ändern, nichts zu verbessern, sie war seine Madonna.
Das Fresko war für Matteo beendet, wenngleich der Trocknungsprozess erst nach Wochen das endgültige Ergebnis hervorbringen würde. Doch schon jetzt änderte es je nach Tageszeit seinen Charakter, wirkte in den Morgenstunden vornehm zurückhaltend, um gegen Mittag, wenn die hochstehende Sonne durch die bunten Glasfenster strömte, vor Kraft und Lebendigkeit regelrecht zu glühen, während die ersten Schatten der Dämmerung dann wieder neue, noch tiefere Schichten zum Vorschein kommen ließen, die selbst ihn überraschten. Alles war gemalt, und dennoch blieb alles ein umso größeres Geheimnis. Niemals zuvor hatte ihn ein Thema derart beansprucht. Er fühlte sich wie nach einer langen Krankheit, ausgezehrt und gleichzeitig federleicht.
Matteo legte den Pinsel beiseite und fing an, ohne wirklichen Plan aufzuräumen, ließ es dann aber schnell wieder bleiben. Dazu war morgen noch Zeit genug. Den heutigen Tag schuldete er, wie er aus früheren Erfahrungen wusste, der großen, dunklen Leere, die sich bereits in ihm auszubreiten begann. Schwerhörig gegenüber Nevios einfallsreichen Protesten, schickte er ihn nach Hause und ließ sich heute ausnahmsweise nicht einmal durch Bitten und Drängeln umstimmen.
Er wartete, bis der Junge ein gutes Stück entfernt sein musste, dann verließ auch er die Kapelle. Das späte Sonnenlicht traf ihn wie ein Hieb. In den letzten Tagen und Nächten war der Kirchenraum der einzige Ort gewesen, an dem er sich aufgehalten hatte, und er musste erst wieder lernen, sich dem Leben draußen zu stellen. Die Gesichter der Menschen, denen er begegnete, erschienen ihm grob, ihre Stimmen unerträglich laut, und als ihn schließlich auch noch zwei Halbwüchsige bei ihrer übermütigen Rangelei versehentlich anrempelten, hob er die Hand zum Zuschlagen, so in die Enge getrieben fühlte er sich auf einmal.
Beim Eintreten zögerte er. Die Eingangstür seines Hauses schien zu schleifen, was ihm noch nie aufgefallen war; er musste so bald wie möglich Abhilfe dagegen schaffen. Dann aber nahm ihn endlich seine Heimstatt wieder auf, und er stieß geräuschvoll die Luft aus, so erleichtert fühlte er sich. Seine Freude jedoch währte nicht lange, denn schon nach ein paar Augenblicken hörte er im Nebenzimmer Ornela herumwerkeln. Sie schien etwas Schweres zu bewegen und pfiff dabei, lauthals und ohne jegliches Gefühl für Töne.
Bevor er noch richtig nachgedacht hatte, war er ärgerlich nach nebenan gelaufen. Mit einem Schrei fuhr sie zu ihm herum.
»Mach das nie wieder!«, rief sie grimmig. »Jetzt hättest du mich beinahe zu Tode erschreckt!«
»Es ist immer noch mein Haus«, sagte Matteo. »Vergiss das nicht!«
»Was soll das heißen?« Sie kam ihm ein paar Schritte entgegen, die Augen zusammengekniffen. »Hab ich dir etwa schon ein einziges Mal Anlass zur Klage gegeben? Wenn ja, dann auf der Stelle heraus damit!«
Jetzt stand sie vor ihm, breitbeinig, die Hände über den schweren Brüsten verschränkt: die
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