Die Sünderin von Siena
in jungen Tagen – und erst recht nicht heute.«
»Wenn es das nur wäre – ihr Vaterhaus! Dann könnte ich um einiges ruhiger sein.« Lupo di Cecco schien plötzlich nach einem Halt zu suchen. »Aber dieses Leben jetzt, das sie sich zumutet, mit all den fremden, verwahrlosten Kindern … Ich fürchte, sie wird sich übernehmen. Gemma ist nicht stabil genug für diese ungewohnte Herausforderung.«
»Ihr wollt damit sagen, dass sie …«
»Ich hab mich längst abgefunden, dass Gott uns keine Kinder schenkt. Sie aber nicht. Von Jahr zu Jahr wird es schlimmer. Daher gibt es Anlass zu befürchten, jene neue Situation könnte ihrer zarten Gesundheit äußerst schlecht bekommen.«
»So liebt Ihr sie noch immer? Obwohl sie Euer Ansehen öffentlich geschädigt hat?«
»Gemma ist mein Weib, Messer Barna. Und wird es bleiben bis zum Ende aller Tage.«
Der Rektor schien zu überlegen, dann zog er Lupo di Cecco zur Seite.
»Ich habe ein offenes Ohr für Eure Anliegen«, sagte er. »So war es bisher, und so wird es auch bleiben. Und auch das von vorhin war durchaus nicht nur so dahin geredet. Ein Mann von Eurem Format könnte in der Tat sehr hilfreich für uns sein. Ganz im Vertrauen – es gibt da einen kleinen Kreis von ehrenwerten Männern, die …«
»Ihr wollt die Zustände in Siena verändern? Und das lieber heute als morgen?«
Barna erstarrte. »Aber woher wisst Ihr …«
»Meine Quellen sind vorzüglich. Nur so können meine Geschäfte florieren. Und ich sage Euch: Ich bin dabei!«
»Das ist Euer Ernst, Messer di Cecco? Dann werde ich sogleich die anderen in Kenntnis setzen.«
»Gemach, gemach! Mir liegt nichts an öffentlichen Auftritten oder Ämtern. Ich tauge nicht für das grelle Sonnenlicht, sondern bin eher ein Mann für die zweite Reihe.«
Der Rektor nickte eifrig.
»Aber ich wäre durchaus bereit, Euch finanziell zu unterstützen – auch in erheblichem Maße, sollte sich das als nötig erweisen. Vorausgesetzt allerdings, ich kann weiterhin hinter dem Vorhang bleiben. Einverstanden?«
Er streckte Barna die Hand entgegen. Der schlug sofort ein.
»Und was fangen wir jetzt mit diesem Minucci an?«, fragte der Rektor. »Sollen wir ihn zu einer Untersuchung vorladen lassen? Oder dazu bringen, den Salamander zu übermalen? Wenn nur der Bischof nicht so einen Narren an ihm gefressen hätte! Er hat sogar vor wenigen Tagen ein neues Bild bei ihm bestellt.«
»Wieso unnötig Staub aufwirbeln? Keiner außer uns wird den Salamander jemals bemerken. Und diesen Minucci, den überlasst ruhig mir!«, entgegnete Lupo di Cecco. »Mit Kreaturen seiner Kategorie weiß ich durchaus umzugehen.«
❦
Die ersten Unterrichtsstunden hatten Gemma einiges an Überraschungen gebracht. Mia war durch nichts in der Welt zu bewegen gewesen, den gespitzten Holzgriffel auch nur in die Hand zu nehmen. Sie machte sich stocksteif, ihre hellen Augen füllten sich mit Tränen, bis Mamma Lina sie schließlich tröstend umarmte und nach nebenan zum Lauchputzen schickte. Auch Raffi schien zunächst den seltsamen Zeichen nur wenig abgewinnen zu können, ließ sich aber immerhin dazu überreden, weiterzuüben. Dafür waren Lelio, Angelina und Mauro umso eifriger bei der Sache, und selbst die kleine Cata ließ es sich nicht nehmen, ungelenke Kringel und windschiefe Dreiecke zu fabrizieren.
Gemma war froh, dass die Dominikaner ein paar ihrer alten Wachstafeln an sie abgetreten hatten, in die die Kinder mit ihren Griffeln Buchstaben ritzen konnten. Reichlich ungewohnt freilich war es für alle. Jeder trug seinen eigenen kleinen Kampf aus.
»Du brauchst ihn nicht so fest zu umklammern. Er ist schließlich keine Waffe, mit der du auf einen Feind los gehst.« Sie löste Raffis Faust und zeigte ihm, wie man den Griffel lockerer und damit bequemer halten konnte. »Sonst tut dir nur viel zu schnell die Hand weh, und dann kannst du nicht mehr weiterschreiben.«
Lelio hatte sich bereits über den »Kinderkram«, wie er es nannte, beklagt und nach Tinte und Pergament verlangt. Gemma nahm sich vor, mit den Kindern zu den Gerbern zu gehen, damit sie vor Ort sehen konnten, wie aus Tierhäuten kostbares Schreibmaterial entstand. Ein Vorsatz, den sie freilich nicht mehr allzu lange aufschieben durfte, denn es wurde von Tag zu Tag heißer.
»Das werde ich niemals lernen!« Mamma Lina war am ungeduldigsten von allen. »Sieh dir doch nur mal mein G an – so schief und schepp, wie es ist!«
»Jeder kann es lernen – warte, ich zeig es dir!«
Gemma
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