Die Sünderin von Siena
sein. »Warum sagst du Vater dann nicht einfach, dass du am liebsten allein bist?«
»Als ob ich das nicht schon getan hätte – mindestens hundertmal sogar! Aber dann fängt er immer wieder von Augsburg an. Von meinem Vater, von mein…« Mario verstummte abrupt.
»Sie fehlen dir, nicht wahr?«, sagte Gemma. »Besonders deine Schwester, könnte ich mir vorstellen. Du hast Maria sicherlich schon geschrieben?«
Eine unbestimmte Geste. »Du musst nach Hause kommen, Gemma, bitte!«, wiederholte er, drängender nun. »Erst recht jetzt, nachdem Bartolos Schiff mit der kostbaren Ladung in die Hände von Piraten gefallen ist.«
»Was redest du da? Bartolos und Lupos Schiff? Das mit dem besten Salz von den spanischen Inseln nach Pisa segeln sollte?«, rief sie entsetzt. »Das kann doch nicht wahr sein!«
»Ich war dabei, als Lupo es ihm vor ein paar Tagen so schonend wie möglich beigebracht hat. Aber selbst das hat nicht viel genützt. Seitdem sieht zio Bartolo ganz alt und grau aus.« Sein Blick wurde schmelzend. »Wirst du also kommen?«
Vielleicht sind seine Augen doch ein wenig golden, dachte Gemma für einen Augenblick. Zumindest wenn er die Brauen so zusammenzieht, wie auch Angelina es manchmal tut, könnte man es beinahe glauben.
❦
»Sie treibt es auf die Spitze!« Die Stimme des Kanonikus überschlug sich beinahe. »Provoziert uns mittlerweile ganz ungeniert. Jetzt stolziert sie bereits am helllichten Tag auf dem Domplatz umher und parliert dabei unter dem scheinbar so keuschen Schleier munter und unbefangen mit dem Bischof, als sei es die normalste Sache der Welt! Dabei tut sie, als sei ich gar nicht vorhanden. Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe? Wie mit dem blanken Hinterteil auf einen glühenden Rost geschnallt, das kann ich dir verraten. Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle unter das Pflaster verkrochen.«
»Reg dich nicht auf! Das wird ohnehin nicht mehr lange so gehen.« Der Apotheker Marconi rührte weiter in seinem Mörser.
»Nicht mehr lange? Das, lieber Savo, hab ich inzwischen viel zu oft von dir gehört. Worte, immer nur Worte! Aber was geschieht ? Nichts. Gar nichts!«
»Wenn Freund Barna uns den in Aussicht gestellten Gefallen bereits erwiesen hat, liegst du falsch. Er wird ihr Haus kontrollieren lassen. Wieder und wieder. Bis sie schließlich aufgibt. Das ist immerhin ein Anfang.«
»Du willst ihr die Kinder wegnehmen lassen?«
»Manchmal mangelt es dir leider an Fantasie, Domenico. Weitaus besser wäre es doch, etwas anderes würde geschehen: der Stadt verwiesen mit dem strikten Verbot, jemals im Leben wieder einen Fuß nach Siena zu setzen. Na, wie gefällt dir das?«
»Aber sie ist so schlau wie eine Natter, tückischer als jeder Fuchs. Sie wird sich zu wehren wissen«, klagte der Domherr.
»Du liebst sie noch immer, sei ehrlich! Du hast von Anfang an die stärksten Gefühle für sie gehabt.«
»Inzwischen hasse ich sie.« Das runde Gesicht Domenicos war rot angelaufen. »Abgrundtiefer als die teuflischen Heerscharen Satans zusammen, das kann ich dir versichern!«
»Eine Teufelin ist aus der Hölle gekrochen und macht Jagd auf den Straßen Sienas.« Savo Marconi ließ den Stößel sinken, ein ausnehmend schönes Exemplar, wie auch der Mörser aus hellem Alabaster gefertigt. »Gar kein so übles Bild, wie ich zugeben muss.«
»Über deine unangebrachte Heiterkeit kann ich mich nur wundern.« Domenico klang empört. »Vielleicht sollte ich mich lieber an Enea wenden. Der würde sicherlich mehr Ernst für unsere vertrackte Situation aufbringen.«
»Davon muss ich dir dringend abraten.« Marconi ging zu den Regalen und kam mit einem Glasgefäß zurück. »Das hier könnte unter Umständen sogar seine Frau zur Ruhe bringen. Weißt du denn nicht, in welch bedenklicher Verfassung sie ist, seit sie ihren Giovanni unter Bernardos Engeln entdeckt hat?« Er träufelte ein paar Tropfen von dem milchigen Saft zu der Paste im Mörser. »Ich halte gar nichts davon, im Haus Eneas für noch mehr Aufregung zu sorgen.«
»Was redest du da? Aber das ist doch nicht möglich! Unser kleiner Giovanni…« Domenico sackte auf seinem Schemel zusammen.
»Er wird bald genug haben und wieder nach Hause kommen«, sagte der Apotheker. »Vorausgesetzt, er hat nicht erfahren, was seinen Vater und seinen Onkel wirklich nach Pisa geführt hat. Denn falls doch, könnte es leider anders ausgehen.«
»Was soll das schon wieder heißen?« Carsedonis Blick war furchtsam geworden. »Deine seltsamen
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