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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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irgendwie vom Hals schaffen. Von allein wäre sie nie gestorben. Aber nach einer Operation hätte sie alleine leben können. Da hätte sie mich nicht mehr gebraucht. Warum habe ich es nicht getan, solange noch Zeit war? Warum habe ich das erst geschafft, als sie tot war? Was meinen Sie, war es das schlechte Gewissen? Wollte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Mich bei meinem Vater entschuldigen und gleichzeitig sagen können: Hallo, du da oben, schau mal nach unten. Siehst du, ich tue es. Ich tu es für dich.»
    Sie schaute ihm ins Gesicht, und tief in diesen Glasaugen glomm ein Funke auf. Es war kein Leben, was da glühte, es war nur Qual – wie ein Funken aus der Hölle.
    «Ich habe es getan», sagte sie mit einem langen Seufzer. «Nicht so, wie sie es mir vorgeschlagen hatte. Das hätte ich nie geschafft, einen Mann mit einer Nadel zu stechen. Ich habe die Sache umgedreht und meine Haut hingehalten. Aber das habe ich auch nicht verkraftet. Und um die Sauereien auszuhalten, habe ich gefixt. Klingt logisch, oder? Ichmeine, es klingt sehr logisch. Aber der Chef glaubt es nicht. Glauben Sie es?»
    Eberhard Brauning verspürte das dringende Bedürfnis, gegen die Tür zu hämmern, damit man ihn befreite. Aus dem Blick dieser Augen, in denen es nun stärker glühte, aus dem Raum, nach Möglichkeiten auch von diesem Mandat. Er sah die Notiz vor sich. Herz-Nieren-Versagen! Das war wohl ein Irrtum gewesen – nicht der einzige Irrtum in diesem Fall. Und er hatte sich die Sache eingehandelt!
    Er klopfte nicht gegen die Tür, begann nur im Geist zu pfeifen. Ein fröhliches Lied. Ich hab den Vater Rhein in seinem Bett gesehen. Wie er darauf kam, wusste er nicht. Aber im Geist zu pfeifen hatte ihn schon als Kind beruhigt.
    Die Betten im Raum waren ordentlich gemacht. Nur an den Bezügen erkannte man, dass sie benutzt worden waren. Sie waren so fleckig und zerknittert wie Cora Benders Kleidung.
    Sie war seit mindestens einer Minute still. Es fiel ihm erst auf, als sie seinem Blick folgte, zu grinsen begann und mit spöttischem Unterton meinte: «Sieht aus, als wäre ich hier nicht alleine, was? Lassen Sie sich von den Betten nicht hinters Licht führen. Das ist nur ein Täuschungsmanöver. Bisher habe ich außer dem Pflegepersonal, dem Professor und dem Chef noch keinen zu Gesicht bekommen. Ich nehme an, die wollen testen, ob ich meine Sinne noch alle beisammen habe oder anfange mit Leuten zu reden, die nicht existieren.»
    Der Wandel traf ihn völlig unvorbereitet. Ihre Stimme, sogar ihr Blick, waren plötzlich die einer Person, die sich lustig machte. Man hatte ihr einen Streich gespielt und noch nicht erkannt, dass sie die Sache längst durchschaut hatte. Da durfte sie sich amüsieren über die Dummheit der anderen.
    Sie zuckte lakonisch mit den Achseln und schränkte ein: «Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich zu viel schlafe. Ich muss mich nur hinlegen, zwei Sekunden später bin ichabgetaucht. Und dann können Sie eine Kanone neben mir abschießen, ich wache nicht auf. Morgens müssen die mich immer rütteln. Der Professor hält es für ein schlechtes Zeichen, dass ich so viel und noch dazu gerne schlafe. Er hat wohl auch mal gelesen, der Schlaf sei der kleine Bruder des Todes.»
    Sie lachte belustigt. «Blödsinn, mit kleinen Brüdern hatte ich nie etwas im Sinn. Ich habe jahrelang mit dem großen in einem Zimmer geschlafen. Und ich habe mich auch noch gefreut, als Vater nach nebenan und der große Bruder bei mir einzog. Manchmal ist man so blöd, dass es verboten werden müsste.»
    Eberhard Brauning hatte bereits erleichtert aufgeatmet und suchte den Anfang der Rede, die er sich für sie zurechtgelegt hatte. Da blinzelte sie plötzlich, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme wieder benommen und so teilnahmslos wie zu Beginn. «Entschuldigung. Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wovon ich rede. Manchmal weiß ich es auch nicht. Ich bin nicht immer ganz klar im Kopf. Die pumpen mich hier andauernd voll mit irgendeinem Scheiß. Der Professor behauptet, es seien nur Psychopharmaka gegen meine Depressionen. Das ist ein verlogener Haufen hier, sage ich Ihnen.»
    Ihre Schultern strafften sich, die Stimme ebenso. «Aber ich beiße mich schon durch», erklärte sie. «Das habe ich immer getan. Früher habe ich oft gesagt, wenn mich einer in den Hintern tritt, stolpere ich automatisch zwei Schritte vor. Das ergibt sich ja aus der Bewegung, oder sind Sie anderer Meinung?»
    Das hatte bereits hellwach

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