Die Sünderin
verlassen, dass mal einer was verliert …»
Ich war nahe daran, ihr zu sagen, dass ich das Geld nicht gefunden und weit mehr im Schuppen hatte als tausend Mark. Aber ich hatte in einer Zeitung gelesen, was eine Operation in den USA kostete und dass man sie selbst bezahlen musste. Und so viel hatte ich noch lange nicht. Ich wusste auch nicht, wie ich es beschaffen sollte.
Wenn ich hätte arbeiten können, nachdem ich mit der Schule fertig war, wäre es kein so großes Problem gewesen. Aber einer musste sich doch um den Haushalt und Magdalena kümmern. Mutter schaffte das nicht mehr, auch wenn sie gewollt hätte. Sie war oft so durcheinander, dass sie den Suppentopf mit dem Waschkessel verwechselte. Vater hatte eine moderne Waschmaschine gekauft, damit kam sie überhaupt nicht klar. Sie wollte damit auch nichts zu tun haben. Ich glaube, sie hatte Angst davor. Sie meinte, es sei Teufelswerk und stellte uns das Wasser ab. Wir sollten vierzig Tagein der Wüste fasten. Das konnte ich ihr aber ausreden. Nur musste man eben ständig aufpassen, damit sie keine Dummheiten machte.
Und Magdalena meinte auch, es wäre besser, wenn ich daheim bliebe. «Arbeiten», sagte sie. «Was willst du denn arbeiten? In deinem Alter kannst du höchstens eine Lehre machen. Das sind drei Jahre, in denen du so gut wie gar nichts verdienst. Wenn es dir wirklich ernst damit ist, das Geld für meine Operation zusammenzubringen, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Ich hätte da schon eine Idee. Es gibt etwas, da werden die Jüngsten am besten bezahlt. Aber ich weiß nicht, wie du darüber denkst.»
12. Kapitel
Cora Benders Verlegung aus der Untersuchungshaft in die Landesklinik zwang die Justizbehörden, umgehend einen Anwalt für sie zu bestellen. Von Seiten ihrer Familie war bisher kein Schritt in diese Richtung unternommen worden.
Ihr Mann und ihre Schwiegereltern schienen vergessen zu haben, dass sie existierte. Ihre Tante, die ausgebildete Krankenschwester, saß in Norddeutschland und bewachte das Sterben eines alten Mannes, für den niemand mehr etwas tun konnte. Von ihrer Mutter war nichts zu erwarten.
Auf der dem Landgericht Köln vorliegenden Liste mit Rechtsanwälten, die mit einer Pflichtverteidigung beauftragt werden konnten, wurde auch Doktor Eberhard Brauning geführt – und wegen seiner guten Zusammenarbeit vor Gericht sehr geschätzt. Freunde, darunter einige Richter, nannten ihn Hardy. Er war achtunddreißig Jahre alt und ledig. In seinem Leben gab es nur eine Frau, die ihm wirklich wichtig war: Helene, seine Mutter, mit der er zusammenlebte.
Helene Brauning war lange Jahre im gleichen Fachgebiet tätig gewesen wie Professor Burthe. Sie hatte häufig als psychologische Gutachterin vor Gericht ausgesagt und nur zweimal nicht verhindern können, dass eine Haftstrafe verhängt wurde. Helene Brauning hatte sich speziell – und nicht nur vor Gericht – mit den Fällen befasst, in denen eine gravierende Störung vorlag. Allerdings hatte sie sich vor zwei Jahren aus dem Berufsleben zurückgezogen. Es war auf Dauer doch sehr deprimierend gewesen, nicht helfen, nur verwahren zu können.
Für Eberhard Brauning waren Psychiatrie und Psychologie zweischneidige Schwerter. Geistig gestörte Straftäter hattenihn seit frühester Jugend fasziniert, allerdings nur in der Theorie. In der Realität waren sie ihm ein Gräuel. Glücklicherweise waren sie im Alltag eines Juristen eher die Ausnahme.
Wenn ein Ehemann im betrunkenen Zustand oder aus Eifersucht seine Frau umbrachte, damit konnte er umgehen. Wenn ein bis dahin unbescholtener Angestellter nach einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier eine Arbeitskollegin vergewaltigte, für solch einen Mann konnte er sich einsetzen, auch wenn es ihn persönlich schauderte.
Eberhard Brauning brauchte kalkulierbare Reflexe und nachvollziehbare Motivationen. Er brauchte das offene Gespräch, nicht unbedingt Reue; wenn sie ihm geboten wurde, war ihm das recht angenehm, doch ebenso gut konnte er sich mit Leugnen auseinander setzen.
Und all das war von den Geschöpfen, denen Helene mehr als ihr halbes Leben gewidmet hatte, nicht zu erwarten. Sie lebten in einer Welt, zu der er keinen Zugang fand. Ihr Verhalten war ganz nett für eine angeregte Unterhaltung am Abend. Was jedoch seine Arbeit betraf, bevorzugte Eberhard Brauning Fälle, in denen die Sachlage und die geistige Verfassung des Mandanten klar waren.
Als ein solcher stellte sich dem Untersuchungsrichter der Fall Frankenberg
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