Die Sünderin
bieten lässt, ehe ihm der Geduldsfaden reißt. Aber vielleicht begreifen Sie, dass Sie nur die Alternative haben: ich oder irgendein anderer.»
Warum er ihr das erklärte, wusste er nicht. Es wäre entschieden einfacher gewesen, dem Richter diesen Vortrag zu halten. Nur sah er in dem Moment nichts, was ihn hätte veranlassen können, seine Worte in Kürze zu bereuen. Er fühlte sich auf den Arm genommen von ihr, er hätte geschworen, dass sie mit ihm das gleiche Spielchen versuchte wie mit den Beamten, die das Verhör geführt hatten.
Johnny, Böcki und Tiger! Nicht mit ihm! Sie war gut in ihrer Rolle, sie war fast schon brillant. Aber er lebte – seit er denken konnte – mit Helene. Und wenn er eines von ihr gelernt hatte, dann das: Wer sich amüsieren konnte über die Trottel, die brav ein paar Mätzchen schluckten, der wusste noch genau, was er tat.
Es war faszinierend, ihr Gesicht zu betrachten, den Spott, der ihre Lippen verzog und den Glasaugen Leben einhauchte. Keine Frage, sie amüsierte sich köstlich über ihn. Er war überzeugt, dass Helene seinen Eindruck bestätigt hätte, wäre sie dabei gewesen. Cora Bender bildete sich ein, sie könne alle Welt an der Nase herumführen.
«Da sitzen wir beide wohl in derselben Tinte, was?», stellte sie fest, kam ebenfalls zum Tisch und setzte sich auf einen der Stühle. «Was machen wir nun? Tut mir aufrichtig Leid, dass es ausgerechnet Sie erwischt hat. Aber wenn die Dinge so stehen, behalte ich Sie doch lieber. Sonst schicken die mir am Ende irgendeinen alten Knacker. Mit Ihnen habe ich wenigstens was fürs Auge. Ich werde es Ihnen leicht machen, damit die Angelegenheit für Sie nicht zur Strapaze wird. Ich binschuldig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich leugne nicht, bin voll geständig, habe jedoch nicht vor, weitere Erklärungen abzugeben. Reicht das?»
Eberhard Brauning setzte sich endlich, klappte seinen Koffer auf, nahm das Aktenbündel heraus und legte es vor sich auf den Tisch. «Für eine Verurteilung reicht es», sagte er und legte eine Hand auf den Aktendeckel. «Das hier sieht nicht gut aus für Sie.»
Sie grinste wieder. «Daran bin ich gewöhnt. Für mich hat noch nie etwas gut ausgesehen. Stecken Sie es wieder ein, ich weiß, was drin steht. Präzise ausgeführte Stiche! Und es kommt noch einiges dazu. Nur der Himmel allein weiß, was der Chef noch ausgräbt. Und wenn der Herr Professor mit mir fertig ist, möchte er sicher auch einen schönen Bericht schreiben für den Staatsanwalt. Vielleicht tut er Ihnen den Gefallen und erwähnt ein paar mildernde Umstände.»
Mit einem langen Seufzer fügte sie an: «Wir werden sehen. Wenn Sie alles beisammenhaben, überlegen Sie sich Ihre Strategie. Dann kommen Sie nochmal her, und wir besprechen es in Ruhe. Bis dahin bin ich vielleicht auch etwas klüger. Im Moment verschwenden wir beide nur unsere Zeit.»
Sie warf einen sehnsüchtigen Blick zum Fenster, ihre Stimme wurde schwer und melancholisch. Und für kurze Zeit glaubte Eberhard Brauning noch einmal, dass sie nichts weiter als ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte.
«Ich muss nämlich ein bisschen aufpassen mit dem, was ich sage», erklärte sie. «Haben Sie schon mal das Gefühl gehabt, Sie müssten Ihren Verstand mit beiden Händen festhalten? Da ist man ziemlich beschäftigt, glauben Sie mir. Ich traue mich kaum noch zu denken. Manchmal muss ich dreimal auf das Gitter schauen, um zu erkennen, dass ich nicht daheim bin. Es ist alles so real, als ob ich mittendrin stehe. Ich bringe sie ins Bett, stehe mit ihr im Bad, habe sie hinter mir in derKüche. Ich weiß nicht, was das soll. Warum muss ich das alles nochmal erleben? Ich hatte es so weit hinter mir gelassen und die Tür ganz fest zugemacht. Der Chef hat sie eingetreten. Er hätte mir nicht drohen dürfen. Damit hat es angefangen.»
Sie schüttelte verwundert den Kopf und korrigierte sich: «Nein, angefangen hatte es schon am See. Aber da habe ich nur die Himbeerlimonade geschmeckt und das kleine Kreuz gesehen. Und jetzt schmecke ich sein Blut und sehe die drei großen. Es spielt keine Rolle, wohin ich schaue, ich sehe sie überall. Und das in der Mitte trägt einen ohne Schuld.»
Es widerstrebte ihm, ihren Monolog zu unterbrechen. Aber ihm gegenüber war solch eine Show nun wirklich nicht angebracht. Höchste Zeit, ihr das begreiflich zu machen. «Wer hat Ihnen gedroht und womit?» erkundigte er sich.
Sie schaute weiter zum Fenster. Ihr Gesicht trug wieder den gleichen
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