Die Sünderin
geklungen, mit dem nächsten Satz wurde ihre Stimme scharf und spöttisch. «Jetzt ziehen Sie nicht so ein ängstliches Gesicht. Ich bin nicht verrückt. Ich tu nur so. Es ist praktisch, hier drin verrückt zu sein. Das habe ich schnell herausgefunden. Man kann den größten Schwachsinn von sich geben und auf jede unangenehmeFrage irgendeinen Mist auftischen. Da freuen die sich. Das brauchen sie zur Selbstbestätigung, sie verdienen schließlich ihr Geld damit. Aber wir beide reden vernünftig miteinander. Sie müssen ja niemandem weitererzählen, dass ich noch kann. Ich nehme an, als mein Anwalt unterliegen Sie der Schweigepflicht. Nur brauche ich Sie nicht. Tut mir Leid, dass Sie sich umsonst herbemüht haben.»
Eberhard Brauning fühlte sich einem Wechselbad ausgesetzt. Er wusste weder, was er von ihrem Gerede halten, noch, wie er darauf reagieren sollte. «Ich bin vom Gericht mit Ihrer Verteidigung beauftragt», wiederholte er lahm.
Sie zuckte bedauernd mit den Achseln, ihre gelbgrüne Miene spiegelte Überheblichkeit. «Und woraus schließt das Gericht, dass ich verteidigt werden will? An mir können Sie nichts verdienen, guter Mann. Sagen Sie dem Gericht, ich hätte Sie rausgeworfen. Sie können auch sagen, Sie hätten sich die Sache anders überlegt, nachdem Sie mit mir gesprochen hätten.»
«Das ist nicht möglich, Frau Bender», erklärte er. «Sie brauchen einen Anwalt, und …» Weiter kam er nicht.
«Quatsch», unterbrach sie ihn lässig. «Ich brauche niemanden. Ich komme am besten zurecht, wenn ich ganz alleine bin. Ich bin nämlich nie alleine. Kennen Sie den Zauberlehrling?»
Als er verblüfft nickte, erklärte sie: «Ich habe die Geister nicht gerufen. Der Chef war es. Dieser Schweinehund hat sie einen nach dem anderen aus der Hölle heraufbeschworen. Jetzt hat er mir auch noch Magdalena auf den Hals gehetzt. Ich wusste, dass das passiert, wenn ich ihn an sie ranlasse. Deshalb habe ich ihn fern gehalten. Aber dann hat er mit Grit gesprochen. Und ich weiß nicht, wie ich sie wieder loswerden soll. Die anderen bin ich auch nicht mehr losgeworden. Johnny, Böcki und Tiger. Ich weiß nicht, wo ich sie hergenommen habe. Und ich weiß – verdammt nochmal – nicht,wo ich sie hinstecken soll, damit sie mir nicht länger auf dem Verstand herumtrampeln.»
Sie schlug sich mit einer Faust in die offene Hand, atmete tief durch und lächelte noch einmal. Überheblich war es nicht mehr, nur noch kläglich. «Mit so einer Gesellschaft ist man hier gut aufgehoben, glauben Sie mir. Es war nicht mein Traum, in der Klapsmühle zu enden. Nur kann man es sich nicht aussuchen. Und viel anders als im Knast ist es gar nicht. Vielleicht ist es sogar besser, ich kriege jedenfalls keinen Ärger mit anderen Weibern. Ich schlucke brav meine Pillen, esse meist meinen Teller leer und erzähle dem Professor, was er hören will. Aber damit wollen wir es gut sein lassen. Dass jetzt noch einer auftaucht und mich mit Fragen nervt, damit er mich vor Gericht verteidigen kann, herzlichen Dank. Ich will nicht verteidigt werden. Das kann ich alleine.»
Es erging Eberhard Brauning, wie es Rudolf Grovian in den ersten Stunden mit ihr ergangen war. Er sah den äußerst schmalen Grat nicht, auf dem ihr Verstand balancierte. Er fühlte Wut in sich aufsteigen, bemühte sich, ruhig zu bleiben und sachlich zu argumentieren. «Das können Sie nicht, Frau Bender. Vor einem Schwurgericht kann sich niemand selbst vertreten. Das könnte nicht einmal ich, wenn man mich eines Kapitalverbrechens bezichtigte. Das Urteil hätte keine Rechtsgültigkeit und könnte jederzeit angefochten werden, wenn der oder die Angeklagte keinen Rechtsbeistand hatte.»
Er machte eine kurze Pause, wartete, ob sie ihm darauf antwortete. Als sie schwieg, ging er die wenigen Schritte zum Tisch, stellte seinen Aktenkoffer darauf ab, öffnete ihn jedoch nicht gleich, zog nur einen der Stühle zu sich heran und sagte dabei: «Das sind die Fakten. Ob es uns beiden gefällt oder nicht, spielt keine Rolle. Ich wurde als Ihr Anwalt verpflichtet, das konnte ich nicht ablehnen. Jetzt könnte ich das. Ich könnte dem Richter erklären, Frau Bender kooperiert nicht, ich kann sie unter diesen Umständen nicht vertreten.Das würde der Richter einsehen, mich von meiner Aufgabe entbinden und einen anderen Anwalt für Sie bestimmen. Den können Sie natürlich auch ablehnen, ebenso den dritten und den vierten. Ich weiß nicht, wie lange der Richter sich dieses Spielchen von Ihnen
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