Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
verkündete, dass sie heiraten wolle. Aufgeatmet hatte er und gedacht, nun hätte er endlich seine Ruhe.
    «Nein, nein», erklärte sie rasch. «Es geht mir gut. Es geht einem nur manchmal so viel auf einmal durch den Kopf.» Das Zittern der Hände verstärkte sich und griff auf Arme und Schultern über. «Entschuldigen Sie, wenn ich nicht bei der Sache war. Ich musste an meinen Mann denken. Das hat ihn sehr aufgeregt. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt.»
    Es klang, als habe sie eine Beule in den Wagen ihres Mannes gefahren. Ihre Energie hatte merklich nachgelassen. Sie betrachtete ihre Hände, schien voll und ganz darauf konzentriert, nicht die Beherrschung zu verlieren. Und er fragte sich, was passieren mochte, wenn sie sie verlor. Ein Tränenausbruch? Endlich die Wahrheit? Oder eine Wiederholung der Szene vom See?
    Der Zweifel meldete sich erneut und diesmal etwas lauter. Was, verdammt nochmal, war sie? Eine junge Frau, die sich plötzlich mit einem unangenehmen Bestandteil ihrer Vergangenheit konfrontiert gesehen hatte, oder eine von diesen wandelnden Zeitbomben, die ihrer Umgebung jahrelang Harmlosigkeit und Normalität suggerierten, um dann ohne erkennbaren Grund zu explodieren? Ob sie auf ihn losgehen würde?
    Er war näher als Werner Hoß, der Mann im Sportanzug, der hinter dem Schreibtisch saß wie eine Gipsfigur. Es war sein Bereitschaftsdienst, und normalerweise war Hoß nicht so zurückhaltend. Aber normalerweise war er auch einer Meinung mit ihm. Diesmal nicht.
    Als sie zu dritt vor der Tür gestanden hatten, als Berrenrath seine Ansicht über das Pfeifen auf dem letzten Loch verkündete und Rudolf Grovian kurz umriss, was nach Einschätzung der Zeugenaussagen seiner Meinung nach passiert war, hatte Hoß den Kopf geschüttelt. «Ich weiß nicht, das müsste aber ein verdammt großer Zufall gewesen sein. Da ist eine Frau mit ihrem Mann kreuzunglücklich, will sich umbringen, und ausgerechnet in der Situation stolpert sie über einen, mit dem sie früher mal was hatte. Da könnte ich mir eher vorstellen, dass bei ihr etwas ausgesetzt hat, als sie sich ansehen musste, wie die Frankenbergs miteinander umgingen.»
    Ihre Stimme riss Rudolf Grovian aus seinen Überlegungen, klein und ängstlich war sie geworden. «Könnte ich jetzt vielleicht doch einen Kaffee haben, bitte?»
    Er war versucht abzulehnen. Hier gibt’s erst Kaffee, wenn wir alle zufrieden sind. Na komm schon, Mädchen! Erzähl uns, was in deinem Kopf vorgeht. Du kannst doch nicht so tun, als hättest du nach einer Wespe geschlagen, die von deinem Eis naschen wollte. Du wolltest dich da draußen ersäufen, habe ich Recht? Aber dann musste ein Mann dran glauben. Der Mann war jung, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Lebenzu retten. Und du stichst ihn ab wie einen tollwütigen Hund. Warum?
    «Möchten Sie auch etwas essen?», fragte er stattdessen.
    «Nein, vielen Dank», sagte sie rasch. «Nur einen Kaffee, bitte. Ich habe Kopfschmerzen. Es ist nicht schlimm. Ich meine, ich bin im Vollbesitz meiner Kräfte. Ich werde nicht morgen behaupten, es sei mir so schlecht gegangen, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat und sagte.»
     
    Ihre Behauptung entsprach nicht den Tatsachen. Es ging hinauf und hinunter wie in einem Lift. Von Gereon zu Vater, von Vater zu Mutter, von Mutter zu Magdalena, von Magdalena zur Schuld. Sie wollte keinen Kaffee, nur eine Verschnaufpause, um abzuschätzen, wie groß der Berg war, der sich so unvermittelt vor ihr aufgetürmt hatte.
    Es kam zu viel auf einmal. Erinnerungen und neue Erkenntnisse. Von der Ruhe, der Zufriedenheit, dem Gefühl grenzenloser Erleichterung in den ersten Minuten war nichts übrig. Es war nicht vorbei, das Loch nicht gestopft. Sie steckte mitten drin, fühlte sich wie von schwarzen Wänden umgeben, die unaufhaltsam näher rückten.
    «Seit wann haben Sie denn Kopfschmerzen?» Rudolf Grovian erhob sich mit einem Gemisch aus Resignation und neu erwachendem beruflichen Ehrgeiz. Es war eine Sache der Intuition und der Erfahrung. Weitermachen! Ihre Stimme, ihre Haltung, die plötzliche Nachgiebigkeit, er kannte das, hatte es schon hundertmal erlebt. Zuerst wurden sie frech, dann sahen sie die Ausweglosigkeit ihrer Situation und versuchten, mit einer harmlosen Bitte abzuschätzen, wie viele Sympathiepunkte sie sich bereits verscherzt hatten.
    Er ging zur Kaffeemaschine, nahm die Kanne und hielt sie unter den Wasserhahn. Hinter sich hörte er sie zitternd durchatmen. «Seit ein paar Minuten. Es ist

Weitere Kostenlose Bücher