Die Sünderin
nicht in die Lage Ihres Mannes versetzen, Frau Bender. Weil meine Frau etwas so Verrücktes nicht täte.»
Ihre Reaktion war heftiger als erwartet. Sie stampfte mit einem Fuß auf und schrie: «Ich bin nicht verrückt!»
Ihre ersten derartigen Ausbrüche waren ihm keineswegs entgangen. Die erneute Wiederholung forderte ihn geradezu heraus, einmal in diese Richtung vorzustoßen. «Die Leute werden es aber so sehen, Frau Bender, wenn Sie keine Erklärung für Ihr Handeln liefern. Kein normaler Mensch bringt einen Fremden um, nur weil er sich über Musik ärgert. Ich habe mich eben lange mit Ihrem Mann unterhalten, und …»
Sie stammelte etwas, das er nicht verstand, und unterbrach ihn damit. Heftig verlangte sie: «Lassen Sie meinen Mann in Ruhe! Er hat damit überhaupt nichts zu tun.» Ein wenig gemäßigterfuhr sie fort: «Gereon ist ein netter Kerl. Er ist fleißig und ehrlich. Er trinkt nicht. Er ist nicht brutal.»
Sie senkte den Kopf. Ihre Stimme verlor an Festigkeit. «Er würde eine Frau niemals zwingen, etwas zu tun, was sie nicht will. Er hat mich auch nie gezwungen. Gestern hat er sogar gefragt, ob ich Lust habe. Ich hätte nein sagen können. Aber ich …»
Rudolf Grovian kam sich ein wenig schäbig vor und verstand es nicht so recht. Cora Bender war wie ein wild gewordenes Tier über einen wehrlosen Mann hergefallen. Cora Bender hatte mit ihrem kleinen Schälmesser gewütet wie eine Furie. Cora Bender zeigte nicht die Spur von Reue oder Mitleid für ihr Opfer. Aber wie sie da auf dem Stuhl saß, mit zitternden Lippen die Qualitäten ihres Mannes beschrieb, war sie das Opfer.
Doch dann lächelte sie wieder, selbstbewusst und überheblich, begann mit ihrem üblichen: «Hören Sie» und machte ihn damit erneut wütend. «Ich will mit Ihnen nicht über meinen Mann reden. Es reicht, wenn er seine Aussage gemacht hat. Das hat er doch. Und er muss das vor Gericht auch noch einmal wiederholen. Aber damit muss es gut sein. Den Rest können wir hier unter uns abmachen. Ich sehe nicht ein, dass Außenstehende in diese Sache hineingezogen werden.»
Härter als beabsichtigt sagte er: «Es werden eine Menge Außenstehende in diese Sache hineingezogen, Frau Bender. Ich sage Ihnen jetzt mal, wie die Dinge stehen. Sie können oder wollen uns nicht erklären, warum Sie plötzlich die Kontrolle über sich verloren haben.»
Sie öffnete den Mund, er sprach rasch weiter: «Jetzt unterbrechen Sie mich nicht wieder. Ich habe nur gesagt, die Kontrolle verloren. Ich habe nicht behauptet, dass Sie verrückt sind. Niemand hat das bisher behauptet. Aber Sie haben etwas getan, was nicht zu begreifen ist. Und es ist unsere Aufgabe herauszufinden, warum Sie es getan haben. Dazu verpflichtetuns das Gesetz, ob Ihnen das nun angenehm ist oder nicht. Wir werden mit vielen Leuten reden müssen. Mit allen, die Ihnen nahe stehen. Ihre Schwiegereltern und Ihre Eltern. Wir werden jeden fragen …»
Weiter kam er nicht. Sie machte Anstalten, vom Stuhl aufzuspringen, umklammerte die Sitzfläche mit beiden Händen, als könne sie sich nur auf diese Weise an ihrem Platz halten. Ihre Eltern! Das zitterte in ihrem Kopf nach.
Sie fauchte ihn an wie eine Katze. «Ich warne Sie! Lassen Sie meinen Vater in Ruhe. Reden Sie von mir aus mit meinen Schwiegereltern. Die werden Ihnen erzählen, was Sie hören wollen. Dass ich nur die Hand aufhalten kann, dass ich unverschämt bin. Ein Flittchen, meine Schwiegermutter hat von Anfang an gesagt, ich sei ein Flittchen. Sie kann so gemein werden. Immer hackte sie auf mir herum.»
Rudolf Grovian wusste nicht, dass sie ihre Eltern für tot erklärt hatte. Es war so viel zu besprechen gewesen, da waren Nebensächlichkeiten untergegangen. Er sah, dass Werner Hoß ein Zeichen gab. Auf ihn wirkte es, als wolle Hoß die Sache abbrechen. Und das war nicht in seinem Sinne. Wer hört denn auf, wenn es gerade losgeht? Und das ging es. Der Gletscher schmolz, wie ein Sturzbach gurgelten ihm die Fluten um die Ohren. Er begriff schnell, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte; Eltern, Vater. Als sie weitersprach, erkannte er, dass es mehr war als nur ein Punkt.
Hoß kritzelte etwas auf einen Zettel. «Eltern tot», las Rudolf Grovian und dachte, sieh einer an. Zu längeren Gedanken blieb keine Zeit. Ihre Stimme hatte schon nach zwei Sätzen den Elan eingebüßt, wippte auf und ab wie ein Papierschiffchen in der Gosse.
«Ich habe das Kind nicht verloren. Es war eine Sturzgeburt. Die Ärzte haben gesagt,
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