Die Sünderin
Stunden ließ er sich von Winfried Meilhofer in seine Wohnung bringen. Er machte die Andeutung über das Mädchen, das er geliebt und an den Tod verloren hatte. Dann zeigte er Meilhofer das Band, das Ute am See eingelegt hatte. Frankie spielte es auch ab, saß auf dem Boden und trommelte den Takt mit den Fäusten in die Luft. «Ich muss es jeden Abend hören», sagte er. «Wenn ich es höre, ist sie bei mir. Ichkann sie fühlen. Und wenn ich sie fühle, kann ich einschlafen.»
Ein sonderbarer Mann, dieser Georg Frankenberg, sehr ernst, sehr verantwortungsbewusst, manchmal depressiv, mit einer fatalen Neigung zu schnellen Autos. Es konnte einem schon der Verdacht kommen, dass er nicht allzu sehr an seinem Leben hing. Winfried Meilhofer hatte mehr als einmal befürchtet, ihn nach einem Wochenende nicht lebend wieder zu sehen. Erst Ute hatte ihn aus seiner Melancholie gerissen.
Nach den Informationen über das Opfer hoffte Rudolf Grovian, von Gereon Bender ein wenig zur Vorgeschichte der Täterin zu erfahren. Man hatte Cora Benders Ehemann mit Rücksicht auf das kleine Kind angeboten heimzufahren. Man wollte ihm folgen und daheim mit ihm reden.
Dagegen hatte Gereon Bender heftig protestiert. Er wollte im Kreis der Zeugen nicht die große Ausnahme sein. In Polizeibegleitung nach Hause fahren, unmöglich! Wenn alle zur Dienststelle beordert wurden, wollte er auch dahin. Das Kind stelle kein Problem dar. Der Kleine war auch sehr brav, saß auf dem Schoß seines Vaters, knabberte an einem Keks und verlangte nur einmal nach seiner Mutter. «Mama gehen.»
Die dünne Kinderstimme saß Rudolf Grovian noch Tage später wie ein Stachel im Fleisch. Und Gereon Bender erklärte nachdrücklich: «Ich weiß nicht, warum sie plötzlich durchgedreht ist. Ich weiß überhaupt nichts. Sie hat nie was erzählt, nur mal was von einem Unfall früher. Aber wir hatten keine Probleme. Mit meinem Vater hatte sie manchmal ein bisschen Ärger, weil sie sich nichts von ihm gefallen ließ. Was sie wollte, setzte sie auch durch. Und sie hat immer gesagt, dass sie mit mir sehr glücklich ist.» Letzteres entsprach wohl nicht ganz den Tatsachen.
Berrenrath, der Kollege von der Schutzpolizei, der als einer der Ersten am Tatort eingetroffen war, hatte etwas Interessantes aufgeschnappt. Als man Cora Bender von Georg FrankenbergsLeiche fortführte, hatte ihr Mann heftig auf sie eingeschrien und sie beschimpft. Sie war ruhig geblieben, hatte sich noch einmal zu ihm umgedreht und gesagt: «Es tut mir Leid, Gereon, ich hätte dich nicht heiraten dürfen. Ich wusste ja, was ich mit mir herumschleppe. Jetzt bist du frei. Du wärst es ab heute so oder so gewesen. Ich wollte schwimmen gehen.»
Eine aufschlussreiche Bemerkung, fand Rudolf Grovian. Er hatte seine Schlüsse daraus gezogen und einige Punkte gesammelt, die seine Ansicht zu bestätigen schienen: zwei voneinander unabhängige Hinweise auf einen ‹Unfall› in früheren Jahren und zwei Aussagen, die – auch wenn sie nur auf persönlichen Eindrücken beruhten – den Verdacht untermauerten; Opfer und Täterin waren sich am Otto-Maigler-See nicht zum ersten Mal begegnet.
Dass Georg Frankenbergs Reaktion auf den Angriff sich allein in Schreck und Schock begründen könnte, zog Rudolf Grovian anfangs nicht in Betracht. Er ging vom Naheliegenden aus.
Er hatte, als er Cora Bender kurz nach neun gegenübertrat, ein zitterndes Bündel mit blutig geschlagenem Gesicht gesehen, ein Häufchen Elend mit einem zugeschwollenen Auge und einem, in dem nackte Panik flackerte. Und Berrenrath hatte ihn darauf hingewiesen: «Die pfeift aus dem letzten Loch, Herr Grovian. Sie will’s unbedingt loswerden. Aufgeräumt hat sie. Ich glaube, wenn ich sie gelassen hätte, hätte sie Ihnen das Büro auf Hochglanz gebracht.» Auf Berrenraths Menschenkenntnis konnte man sich im Allgemeinen verlassen.
Rudolf Grovian hatte damit gerechnet, dass sie ihm innerhalb kürzester Zeit heulend und um Verständnis bettelnd die rührend tragische Geschichte einer früheren Liebe und eines großen Irrtums oder sonst etwas erzählte, was eine nachvollziehbare Motivation für ihre Tat lieferte.
Doch schon nach wenigen Minuten hatte er Mühe, am bewährten Konzept Ruhe und Freundlichkeit festzuhalten. Momentan war er nahe daran, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und diesem Herzchen klarzumachen, dass auf jeden Blitz ein Donner folgte. «Ist Ihre Frage damit umfassend genug beantwortet?» Soviel Kaltschnäuzigkeit hatte er noch nie
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