Die Sünderin
unmittelbare Tatgeschehen. Es gab keinen Hinweis, was die Katastrophe ausgelöst hatte. In solchen Fällen, das wusste er aus Erfahrung, lag der Auslöser entweder in der Vergangenheit oder in der Natur des Täters. Dass eine Täterin blindwütig auf einen ihr völlig Fremden losging, mit solch einem Fall hatte Rudolf Grovian noch nie zu tun gehabt und auch noch nie von einem gehört.
Frauen ertränkten ihre Kinder, schlugen ihren Männern im Schlaf die Köpfe ein, vergifteten oder erstickten ihre pflegebedürftigen Mütter, wenn sie nicht mehr ein noch aus wussten; Frauen waren Beziehungstäterinnen. Und alles, was Rudolf Grovian zwischen sieben und neun Uhr am Samstagabend hörte, passte in das gängige Muster.
Die wichtigste Aussage bekam er von Georg Frankenbergs Freund und Arbeitskollegen Winfried Meilhofer. Wie das Opfer war Meilhofer Arzt an der Uniklinik in Köln, ein nüchterner Mann, der sich trotz seines Schocks nur einen Satz erlaubte, der keine Fakten enthielt. Wie das göttliche Strafgericht sei die Frau über sie gekommen.
Er sei wie gelähmt gewesen, hatte Meilhofer gesagt, habeeinfach nicht reagieren können. Es habe auch so ausgesehen, als werde Frankie allein mit der Frau fertig. Nach dem ersten Stich, der keinesfalls tödlich gewesen sein konnte, habe er ihr Handgelenk umfasst.
Bestätigt wurde das von einem Familienvater. «Ich verstehe das nicht. So ein großer, kräftiger Kerl. Er hatte sie doch gepackt! Und dann ließ er sie wieder los. Ich hab’s genau gesehen. Sie hat sich nicht etwa losgerissen. Er hätte sie ohne Mühe festhalten können. Aber er ließ sich widerstandslos von ihr abschlachten. Und wie er sie angeschaut hat dabei! Es kam mir so vor, als ob er sie kennt und genau weiß, warum sie es tut.»
Zur Vermutung des Mannes, Georg Frankenberg habe Cora Bender gekannt oder erkannt, zuckte Winfried Meilhofer die Achseln. «Kann sein, ich weiß es nicht. Als wir kamen, waren da nur der Mann und das Kind. Die Frau kam später – aus dem Wasser glaube ich. Mir fiel sie auf, weil sie Frankie und Ute so merkwürdig betrachtete. Ich hatte das Gefühl, sie erschrak. Nur glaube ich nicht, dass Frankie sie bemerkt hat. Ich wollte ihn noch auf sie aufmerksam machen. Aber dann setzte sie sich und beachtete uns nicht weiter. Und ich habe mich auch nicht mehr um sie gekümmert. Als es passierte … Frankie starrte sie an und sagte etwas. Ich habe es nicht verstanden. Es tut mir Leid, Herr Grovian, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Ich kenne Frankie erst seit zwei Jahren. Und ich kenne ihn als einen ruhigen, besonnenen Mann. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er einer Frau Grund für solch einen Wahnsinn gegeben hat. ‹Er wird dich nicht schlagen›, hat sie zu Ute gesagt. Frankie war nicht der Typ, der eine Frau schlägt. Im Gegenteil, Frauen waren ihm irgendwie heilig.»
Winfried Meilhofer sprach von einer Andeutung, die Frankie einmal gemacht hatte. Dass er zu Beginn seines Studiums ein Mädchen kennen gelernt habe, bis über beide Ohrenverliebt gewesen sei. Dann sei das Mädchen bei einem Unfall gestorben.
Winfried Meilhofer sagte: «Er hat es nicht ausdrücklich betont, aber so wie er sprach, hatte ich den Eindruck, er war dabei, als dieses Mädchen starb. Und er kam nicht darüber hinweg. Ich glaube nicht, dass er danach noch eine Affäre hatte. Bis vor sechs Monaten, als er Ute kennen lernte, gab es für ihn nur den Beruf. Er hat es nie verkraftet, dass er einmal nicht helfen konnte.»
Winfried Meilhofer erinnerte sich an eine Begebenheit, die bezeichnend war für Frankies Einstellung zu Frauen und Beruf. Sie hatten eine Patientin verloren, eine junge Frau – Lungenembolie nach einem Routineeingriff. Es lag ein knappes Jahr zurück. So etwas konnte geschehen. Man musste sich damit abfinden. Frankie schaffte das nicht. Er war wie von Sinnen, brach der Toten zwei Rippen bei dem Versuch, sie zu reanimieren. Anschließend betrank er sich und wollte nicht heimgehen.
Winfried Meilhofer mochte ihn nicht allein lassen. Sie gingen zusammen in eine Kneipe. Im Hintergrund lief Musik. Frankie sprach über die tote Patientin, dass er nicht begreife, wie eine junge Frau einem so plötzlich unter den Händen wegsterben könne. Dann begann er unvermittelt von seiner Musik zu erzählen. Von den wilden Wochen in seinem Leben; dem Schlagzeug. Dass ein Freund ihn dazu überredet habe. Dass es ein großer Fehler gewesen sei, dass er sich besser aufs Studium konzentriert hätte.
Erst nach
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