Die Sünderinnen (German Edition)
Sternbuschweg, ohne seine Zeche im Finkenkrug bezahlt zu haben. Okay, das würde Daniel für ihn erledigen. Trotzdem wäre ihm das früher nicht passiert. Manchmal glaubte er, irgendwie neben sich zu stehen. Für einen Psychologen sicher nicht ganz ungefährlich.
Während der Mann langsam die Straße im Neubaugebiet von Alt-Walsum entlangfuhr, schaute er neugierig aus dem Seitenfenster. Schließlich entdeckte er die gesuchte Hausnummer. Er überlegte kurz, dann entschied er sich, vorbeizufahren und erst nach der nächsten Kreuzung anzuhalten. Zur Sicherheit bog er noch einmal rechts ab und parkte seinen schwarzen Wagen direkt hinter einem kleinen Lieferwagen.
Bevor er das Köfferchen an sich nahm, das auf dem Beifahrersitz bereitgelegen hatte, warf er noch einen Blick in den Autospiegel. Die blonde Perücke und die Hornbrille schienen einen neuen Menschen aus ihm zu machen. Gewiss würde ihn ohne diese Verkleidung später niemand wiedererkennen. Bei den lästigen, aber leider notwendigen Vorarbeiten trug er immer diese Verkleidung. Während er die Sühne an den Frauen vollstreckte, hätte er jedoch am liebsten auf eine Tarnung verzichtet, so wie bei Barbara Winkler. Eigentlich kam er sich maskiert schäbig vor, schäbig und unehrenhaft. Dabei brauchte er sich seiner Taten nicht zu schämen. Er vollstreckte nur das Urteil, das die Frauen selbst heraufbeschworen hatten. Trotzdem beschloss er, künftig nicht mehr so unvorsichtig zu sein und seine Mission nicht unnötig zu gefährden.
Mit entschlossener Miene stieg er aus und lief zu dem Haus zurück. Merkwürdig, dachte er, als er einen Blick über das schmiedeeiserne Tor in den gepflegten Vorgarten warf. Der Vorgarten glich einem Meer aus ersten Frühjahrsblühern. Sein Menschenverstand sagte ihm, dass kein Mann Sinn für diese Blumenpracht hatte, erst recht nicht kurz nach einer Trennung. Verwundert drückte er gegen das Tor, das sich mühelos öffnen ließ. Er hielt kurz inne, dann lief er den asphaltierten Weg hoch, der direkt zum Hauseingang führte. Die Tür öffnete sich, noch ehe er die Klingel berührt hatte.
»Se wünschen?«, fragte eine rundliche Frau mit Kittelschürze und Dauerwelle.
Das konnte kaum die Frau des Hauses sein.
»Ich möchte zu Ingrid Kottowski«, antwortete er, wobei er sich bemühte, seiner Stimme einen fremden Klang zu geben.
»Die is aber nich da«, erwiderte die Frau, während sie ihn musterte.
Ihr Blick war ihm unangenehm. Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht, aber er musste der Frau unbedingt Informationen entlocken.
»Was wollen Se denn von der Kottowski?«
»Sie interessiert sich für unsere Schmuckkollektion.« Um seine Aussage noch zu unterstreichen, hob er das kleine, teure Lederköfferchen in seiner Rechten etwas höher.
»Tut mir leid, dass Se umsonst gekommen sind. Wie gesagt, se is nich da.«
»Wo wohnt sie denn jetzt?«
»Wie?«, fragte die Frau irritiert. Ihr Gesichtsausdruck hätte sich prima in gewissen Fernsehsendungen gemacht, die von der Überraschung der Akteure lebten. »Frau Kottowski wohnt doch immer noch hier.«
»Und ihr Mann?«, fragte er jetzt kaum weniger verwundert.
»Na, auch. Wenn Se mich fragen, wirken die jetzt sogar unzertrennlich. Und dat war nich immer so, dat können Se mir glauben.«
»Freut mich«, erwiderte er, obwohl er dessen nicht sicher war.
»Heute Nachmittag ham Se sicher wat mehr Glück«, erklärte die Frau. »Vielleicht können Se dann noch ma widderkommen. Kurz bevor ich mit Putzen fettich bin, isse meist zurück.«
Er bedankte sich und lief zum Gartentor. Dort wandte er sich zum Haus um. Die Frau stand immer noch in der offenen Haustür. Ihre Gesichtszüge spiegelten eine gewisse Verwunderung wieder.
Aber auch er selbst war erstaunt über die unerwarteten Veränderungen. Einerseits erleichterte die neue Situation seine heikle Aufgabe, aber andererseits hasste er unvorhersehbare Ereignisse. Aufgewühlt stieg er in seinen Wagen, kramte im Handschuhfach ein kleines Notizbuch hervor und schlug die letzte Seite auf. Ganz oben stand »Barbara Winkler«, durchgestrichen, darunter »Ingrid Kottowski«. Nachdenklich zog er einen Füller aus seiner Brusttasche, strich auch den zweiten Namen. Die nächste Frau auf der Liste lautete »Eva Maria Garden«. Mit entschlossener Miene fuhr er davon.
Eva Maria Garden saß in ihrem Lieblingssessel unter einer Leselampe. Ihre sonst so lebendigen blau-grünen Augen wirkten ein wenig müde. Dennoch hätte niemand ihr Alter
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