Die Sünderinnen (German Edition)
waren Lena und Jens längst im Bett, und Susanne würde nicht viel mehr als vorwurfsvolle Blicke für ihn übrighaben.
Er starrte in die dunkle Diele, die gewöhnlich von dem Licht erhellt wurde, das durch die Glastür zum Wohnzimmer eindrang – sofern dort eine Lampe brannte. Irritiert trat er ein und hängte seine Jacke an einen der Garderobenhaken, die wie so vieles in der Wohnung zu einer Art Provisorium zählten. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Zettel: »Besuche den Italienischkurs, was Du anscheinend vergessen hast!«, las er. »Falls die Kinder nicht schon eingeschlafen sind, erwarten sie sehnsüchtig ihren Papa.« Der unverhohlene Spott in ihren Worten löste merkwürdige Gefühle in ihm aus. Er konnte nicht einmal sagen, ob es eher Trauer oder Aggression war.
Bisher hatte Susanne die Kinder noch nie allein gelassen. Sie selbst hatte das immer als unverantwortlich empfunden. Was hatte sie dazu verleitet, ihre Prinzipien so einfach aus dem Fenster zu werfen? War ein Italienischkurs ein ausreichender Grund? Jedenfalls empfand Mark die Situation alarmierend. Zumindest über die Kindererziehung waren sie sich immer einig gewesen, fast jedenfalls, wenn man von den unverhältnismäßigen, in seinen Augen zudem unpädagogischen Geschenken von Susannes Eltern absah.
Beunruhigt knüllte er den Zettel zusammen und lief zum Kinderzimmer. Er öffnete die Tür nur so weit, dass die bunt gemusterte Hängelampe in der Diele den Raum schwach erhellte. Vorsichtig trat er ein. Nachdem seine Augen sich an die relative Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er zuerst Jens, der sein Bettzeug ans Fußende gestrampelt hatte. Sogar im Schlaf drückten seine Gesichtszüge einen Anflug von Entschlossenheit aus. Behutsam deckte Mark ihn zu. Lena lag in dem Bett an der hinteren Wand. Den Arm hatte sie fest um ihren Lieblingsteddy geschlungen. So lautlos wie möglich verließ Mark Milton das Zimmer.
Unwillkürlich fragte er sich, wie anders sein Leben verlaufen wäre, wenn Lea Kinder bekommen hätte. Lea, immer wieder Lea. Warum konnte ihn die blutige Erinnerung nicht einfach loslassen. Für einen kurzen Moment sah er wieder das totenblasse Gesicht mit den ausdruckslosen Augen vor sich, sah das Blut, das an ihrem Körper klebte.
Er brauchte jetzt dringend einen Whisky, jedenfalls irgendein hochprozentiges Gebräu, das seine aufgewühlten Nerven beruhigte. Als er eine angebrochene Flasche Metaxa aus dem Schrank holte, warf er einen kritischen Blick auf den Pegelstand. Anscheinend brauchte er in der letzten Zeit öfter etwas zur Beruhigung. Kein Wunder, immerhin hatte Kriminalkommissar Pielkötter ihn befragt, als gehöre er zum Kreis der Verdächtigen, und damit alte Wunden aufgerissen. Er war heute auch deshalb erst so spät nach Hause gegangen, weil er nicht wusste, ob und wie er Susanne von der Vernehmung erzählen sollte. Und ja, darüber hatte er tatsächlich ihren Italienischkurs vergessen. Aber war das ein Grund, die Kinder allein zu lassen?
Während der Metaxa seine Kehle hinunterbrannte und ein angenehmes Gefühl von Wärme hinterließ, wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewusst, wie lieblos er und Susanne schon lange miteinander umgingen. Dabei war er fast sklavisch darum bemüht, jeden Streit zu vermeiden. Erfolglos, wie er sich jetzt eingestand. Also brachte es nichts, den Ärger hinunterzuschlucken. Wie oft hatte er das seinen Patienten erklärt? Wütend, am meisten auf sich selbst, goss er sich einen zweiten Metaxa ein. Noch heute wollte er mit Susanne Klartext reden und er würde nicht zulassen, dass sie ihm wieder auswich.
Die Flasche mit dem Weinbrand hatte sich beträchtlich geleert und Mark in eine Stimmung zwischen Wut und Selbstmitleid versetzt, als er endlich Geräusche in der Diele hörte. Wenig später trat Susanne ins Wohnzimmer. Erstaunt registrierte sie, dass er noch nicht zu Bett gegangen und, der fast leeren Flasche Metaxa nach zu urteilen, leicht bis mittelschwer angetrunken war.
»Noch auf?«, fragte sie mit einem leichten Vorwurf in der Stimme.
Mühsam versuchte Mark, seine Wut zu unterdrücken. »Ich habe auf dich gewartet«, antwortete er so neutral wie möglich. »Wir müssen endlich reden.«
»Heute Abend müssen wir nur noch eines, nämlich schlafen. Die Kinder sind morgen früh wach.«
»Schön, dass du unsere Kinder erwähnst«, erwiderte er ärgerlich. »Findest du es richtig, sie allein in der Wohnung zu lassen?«
»Du hattest versprochen, früher nach Hause zu kommen.«
»In meinem
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