Die Sünderinnen (German Edition)
keine Hilfe annehmen.« Um ihre Worte noch zu unterstreichen, nahm sie die Hände von ihrer Gürtelschnalle und trommelte nun mit den Fingern auf den Tisch.
»Hilfe schon. Aber ihr meint ja nicht Hilfe, sondern Geld.«
»Nicht nur«, erklärte Hartmut aufgebracht. »Meiner Meinung nach könntest du selbst psychologische Hilfe gebrauchen. Du wolltest unsere Tochter benutzen, um deine zweifelhafte Vergangenheit auszuradieren, aber das hat wohl nicht funktioniert. Nun stehst du vor einem Scherbenhaufen und redest dir ein, alle außer dir selbst trügen die Schuld.«
»Glaubst du Susanne hätte uns nicht erzählt, wie oft du nachts Lea schreist«, schaltete sich Hannah Evelyn ein. »Aber das willst du nicht wissen. Redest dir ein, alles läge an unserem Geld, von dem wir Susanne und den Kindern zu viel zukommen ließen, so dass sie unzufrieden mit dir würden. Aber sie wären auch ohne unser Geld nicht glücklich. So haben sie wenigstens das.«
Alle Farbe war aus Marks Gesicht gewichen. Seine Schwiegereltern kannten zum Glück nicht die ganze Wahrheit, dennoch zu viel. Sie wussten von seinen Alpträumen! Am liebsten wäre er im Erdboden versunken oder einfach wortlos aus dem Haus gestürmt, aber er musste das jetzt aushalten, wollte er es sich mit ihnen nicht ganz verscherzen. Susanne, seine Patienten und zusätzlich dieser Kommissar Pielkötter bereiteten ihm genug Sorgen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Pielkötter mehr über Leas unnatürlichen Tod herausfinden würde.
»Du glaubst natürlich, wir hätten Susanne falsch erzogen«, platzte Hannah Evelyn in seine Gedanken. In ihrem Dekolleté bildeten sich hektische, rote Flecken.
»Zumindest für diese Welt«, erklärte Mark mit einer gewissen Resignation in der Stimme. »Einer Welt, in der viele arbeitslos sind und noch mehr Menschen hart arbeiten, ohne sich jemals euren Luxus leisten zu können.«
»Dafür kannst du uns kaum verantwortlich machen. Zudem unterstützen wir wahrlich genug Wohltätigkeitsorganisationen.« An Hartmut Henkelmanns Hals trat eine dicke, hässliche Ader hervor. »Wie immer redest du über allgemeine soziale Probleme und lenkst dabei von deinen eigenen ab. Wahrlich ein schöner Psychologe.«
»Warum kannst du nicht endlich unserer Tochter zuliebe über die Schatten aus deiner Vergangenheit springen?«, kam Hannah Evelyn ihrem Mann zu Hilfe.
»Manchmal denkt man, da muss mehr sein, als du zugeben willst.«
Mark wusste darauf nichts zu erwidern. Mit drei hastigen Schlucken trank er sein Bier aus und stand auf. Schweigend brachten seine Schwiegereltern ihn zur Tür.
»Falls du bereit bist, offen mit deiner Vergangenheit umzugehen, sind wir für dich da«, sagte Hartmut zum Abschied.
Hannah Evelyn nickte nur. Zumindest schloss Mark aus ihrer betretenen Miene, dass auch sie sich unwohl fühlte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er die Auffahrt zu seinem Wagen hinunter. Aufgewühlt setzte er sich hinter das Lenkrad und startete den Wagen, indem er, ganz ungewohnt, das Gaspedal durchtrat.
Während er nach Duisburg zurückfuhr, verspürte er ungeheuren Hass auf seine Schwiegereltern. Dabei hatte er sich früher einmal eingebildet, niemanden hassen zu können. Wie sollte er jedoch friedlich bleiben, wenn ihre Finger gierig in seiner größten Wunde herumbohrten. Ja, er hasste sie dafür, seine Verletzlichkeit bloßzulegen. Er hasste sich für diese Verletzlichkeit. Vor allem aber hasste er sich dafür, sich in manchen Momenten selbst nicht mehr zu kennen.
»Bis ganz nach oben?«, fragte Pielkötter mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich denk, alle Polizisten sind sportlich«, erwiderte Jan Hendrik. »Selbst so’n alter Hauptkommissar wie du.«
Pielkötters Blick wanderte unzählige Stufen hinauf, bis er ein Stückchen Himmel sehen konnte. Dabei erinnerte er sich an ein interessantes Bild, das er neulich in einer Zeitung gesehen hatte. Das Foto war aus dem Weltraum aufgenommen worden und zeigte das Ruhrgebiet neben London und Paris als drittgrößten Ballungsraum Europas.
»Lohnt sich wirklich«, erklärte sein Sohn. »Die Aussicht ist einfach fantastisch.«
Pielkötter dachte an die Leute, die früher an diesem Hochofen gearbeitet hatten. Eine schwerere Arbeit konnte er sich kaum vorstellen, allein schon wegen der Hitze. Wenn das flüssige Roheisen abgestochen wurde, musste es unerträglich gewesen sein. Automatisch sah er die Arbeiter in Schutzanzügen samt Gesichtsmaske vor sich. Dabei kannte er sie nur aus einer Reportage,
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