Die Sünderinnen (German Edition)
gegenüber.
»Seltener Besuch«, begrüßte er Mark mit einem leichten Anflug von Ironie in der Stimme.
Immer schön ruhig bleiben, erinnerte sich Mark an die eigens für diese Unterredung ausgearbeitete Strategie. Dabei hatte er das Gefühl, einem seiner Patienten bei dem Versuch über die Schulter zu sehen, seine gut gemeinten Ratschläge in die Tat umzusetzen. Ohne sich den leichten Ärger anmerken zu lassen, lief er neben Hartmut her ins Wohnzimmer, das eher an eine Art Ballsaal erinnerte als an einen Raum zum Wohnen. Mark steuerte direkt die gegenüberliegende Sitzgruppe an. Sie bestand aus zwei wuchtigen Sofas und drei nicht minder wuchtigen Sesseln mit einem gelblichen Stoffbezug. Mark mochte diese Klubgarnitur weniger wegen des Aussehens, sondern eher wegen einer gewissen Vertrautheit. Immerhin hatte er an dieser Stelle vor vielen Jahren zusammen mit Susanne um das Einverständnis ihrer Eltern zu ihrer Hochzeit gebeten. Nicht dass sie sich hätten aufhalten lassen, wenn sie es nicht bekommen hätten, aber damals hatte er sich noch um Einvernehmen bemüht und hatte sie daher nicht übergehen wollen.
»Was darf ich dir zu trinken anbieten?«, fragte Hartmut Henkelmann in einer Art Befehlston.
Seine Stimme erinnerte Mark daran, dass Hartmut Henkelmann nicht gerade oft nach den Wünschen seiner Mitmenschen zu fragen pflegte, ausgenommen Frau und Tochter. Zumindest Susanne hatte er zu viele Wünsche von den Augen abgelesen, und Mark hätte viel darum gegeben, wenn er das hätte verhindern können.
»Ein Bier, bitte«, antwortete Mark, während er sich fragte, wo seine Schwiegermutter wohl blieb.
Jedenfalls hatte sie am Telefon behauptet, dieser Termin sei ihr recht. Während Hartmut Henkelmann das Wohnzimmer verließ, sah sich Mark in dem Raum um, den er seit jeher als ungemütlich empfunden hatte. Dabei konnte er nicht einmal sagen, ob das an den hellen Marmorfliesen des Fußbodens lag, den ausnahmslos weiß gestrichenen Wänden oder dem sicher sündhaft teuren, aber spärlichen Mobiliar.
»Da bist du ja schon«, durchbrach Hannah Evelyn Henkelmann plötzlich seine Gedanken.
Zusammen mit ihrem Mann war sie fast lautlos ins Zimmer getreten.
»Schade, dass du Susanne und die Kinder nicht mitgebracht hast.«
»Susanne ist übers Wochenende zu Annette gefahren«, erklärte Mark. »Nach Bremen. Ihr wisst schon, ihre ehemalige Kommilitonin. Aber ich wollte Euch sowieso lieber allein sprechen.«
Seine Schwiegermutter runzelte die Stirn, wie eine Oberlehrerin, die nicht verstehen konnte, warum ihr Schüler schon wieder irgendwelchen Schwachsinn von sich gab. Dabei war Hannah Evelyn niemals berufstätig gewesen. Direkt nach dem Abitur auf einem angesehenen Mädcheninternat hatte Hartmut sie geheiratet. Mark kannte niemanden, der seinen Unmut derart drastisch mit einer gerunzelten Stirn und hochgezogenen Augenbrauen ausdrücken konnte wie sie. Wenn Hannah Evelyn jedoch nicht ungehalten war, ähnelte sie Susanne ungemein. Selbst ihre Figur hatte sich in der Zeit, in der er sie kannte, kaum verändert. Sie war so schlank wie in jungen Jahren und von weitem hätte man sie glatt für Susannes Schwester halten können. Ihr Mann dagegen war im Laufe der Jahre ein wenig in die Breite gegangen, was seine Attraktivität allerdings kaum schmälerte. Er hatte immer noch volles Haar und seine stahlblauen Augen musterten die Welt so entschlossen wie eh und je. Sympathisch allerdings wirkte er nicht. Während er Mark das Bier einschenkte, nestelte Hannah Evelyn an dem breiten Gürtel ihres schicken Hosenanzuges herum.
»Ich möchte mit euch über unsere Ehe sprechen«, fuhr Mark fort, als er das Schweigen langsam als erdrückend empfand. »Sicher habt ihr selbst schon gemerkt, dass Susanne jede Gelegenheit nutzt, um die Zeit woanders zu verbringen. Wie oft war sie in der letzten Zeit bei euch? Meist auch über Nacht.«
»Jens und Lena sind unsere einzigen Enkelkinder«, wandte Hannah Evelyn ein und trommelte erregt mit dem Zeigefinger gegen ihre auffällige Gürtelschnalle.
»Aber darum geht es nicht. Susanne verbringt ihre Zeit einfach nicht gerne mit mir.«
»Wundert dich das?«, fragte Hartmut Henkelmann. »Susanne ist einfach zu schade für eine zweite Wahl.«
Diese Anschuldigung traf Mark ebenso unerwartet wie heftig. »Sie hat versprochen, in guten und schlechten Tagen zu mir zu halten«, erwiderte er ohne auf diesen Vorwurf einzugehen.
»Ihr könntet es so gut haben«, erklärte Hannah Evelyn. »Aber du willst ja
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