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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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mit einem Riss durch die gesamte Sitzfläche. Obwohl sie schlank war, ragten ihre Hüften links und rechts über.
    Ihr Oberkörper bewegte sich ganz langsam im Kreis, während sie spielte. Der Hals des Instrumentes glitt dabei ihr linkes Schlüsselbein entlang, hin und her. Sie hielt den Kopf geneigt, so, als fixiere sie einen bestimmten Punkt des Bodens. Das halblange Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Dadurch merkte man, wie sehr ihre Ohren abstanden.
    Raffael Horn lehnte in der Tür und hatte eine Erektion. Es ist Samstagmorgen; ich schaue meiner Frau beim Musizieren zu und habe eine Erektion, dachte er, es gibt Schlimmeres im Leben, eindeutig.
    Sie spielte die Sarabande aus der D-Dur-Suite von Bach. Wenn sie Bach spielte, war sie ganz bei sich. Auch das war immer schon so gewesen. Der nach innen gewandte Blick, zwischen den Lippen ab und zu die Andeutung ihrer Zungenspitze, die glühend roten Ränder der Ohrmuscheln. Früher war er in solchen Situationen über sie hergefallen. In letzter Zeit tat er das nicht mehr.
    Vorsichtig schloss er die Tür zum Stall. Der gut fünfzig Quadratmeter große Raum, den sie zum Musikzimmer umgebaut hatten, war vor Jahrzehnten ein Kuh- und Schafstall gewesen, daher hatten sie ihn von Anfang an Stall genannt. Ab und zu nahmen an der langen schmalen Tafel aus ungehobelten Tannenbohlen, die drin stand, Gäste Platz, zu selten, wie Irene Horn fand.
    Der Bogen schien ihr zu behagen, das machte ihn froh. Er hatte ihn über Vermittlung eines Bratschisten aus ihrem Orchester bei einem Instrumentenbauer in Hallein bei Salzburg gekauft. Er stamme aus Genua, sei hundertfünfzig Jahre alt, in der Dynamik sehr straff und aus seiner Sicht ohne Fehler, hatte der Mann behauptet. Ansonsten hatte er nichts gesagt, und das hatte in Horn eine große Bereitschaft geweckt, ihm zu glauben. Irene hatte ebenfalls kein Wort gesprochen, als sie den Bogen am Heiligen Abend aus dem Etui gezogen hatte. Sie hatte drei-, viermal an der Schraube gedreht und dann das Xerxes-Largo gespielt, ohne vorher auch nur einen Ton angestrichen zu haben. Sie waren alle ganz still dagesessen und Tobias, diese ultracoole Inkarnation der Pubertät, hatte Tränen in den Augen gehabt.
    Mimi hockte auf dem Fensterbrett, klapperte mit den Zähnen und maunzte empört, als er sich neben sie stellte. Auf der Plattform des Vogelhauses saßen zwei Kohlmeisen und knackten Sonnenblumenkerne. »Ich lasse sie dir schon«, sagte er und kraulte sie im Nacken. Sie wandte ihm für eine Sekunde das linke Ohr zu, mehr nicht.
    Das Außenthermometer zeigte minus elf Grad. Zwischen den Wipfeln der Fichten schien das Blassgelb der aufgehenden Sonne durch. Der Nordostteil der Stadt war zum Greifen nahe. Über dem Stück Fluss, das vom Haus aus zu sehen war, lag ein zarter Dunstschleier. Ein schöner Tag, dachte Horn – so, als würde nie etwas passieren.
    Er stellte Wasser auf. Eine der traurigen Wahrheiten meines Lebens ist, dass hier seit zehn Jahren der Samstagmorgen ohne Zeitung stattfindet, dachte er, und seit zehn Jahren habe ich mich nicht daran gewöhnt. Er holte eine Dose Katzenfutter aus der Speisekammer, löffelte eine Portion in Mimis Fressnapf und mischte eine Hand voll Kornflocken hinein. Die Katze sprang vom Fensterbrett und strich ihm begeistert um die Knöchel. Entweder bin ich zu faul oder es ist mir nicht wichtig genug, dachte er. Er wusste, dass er nur ins Auto steigen musste und dass direkt an der Einfahrtsstraße eine Trafik lag. Zehn Minuten hin, zehn Minuten retour. Er tat es trotzdem nie. Er dachte an die Zeit in Wien, an die Wohnung im zweiten Bezirk und an den alten Trafikanten, der von Jahr zu Jahr immer blinder geworden war. Zuletzt hatten ihm die Leute ansagen müssen, von welchen Orten im Regal er die Zeitschriften und Zigarettenpackungen zu nehmen hatte. Seine Zeitungen hatte er allerdings immer vorbereitet gehabt, bis zum Schluss. Am Samstag den ›Standard‹ und die ›Presse‹, so war es gewesen.
    Er schob einige Semmeln ins Rohr, um sie aufzubacken, und deckte den Tisch für zwei. Tobias würde um zwölf dahertaumeln, sich eine doppelte Portion Choco Pops genehmigen und etwas murren wie »Das Leben ist eine Zumutung«.
    Nachdem er zwei Eier in den Kocher getan hatte, stand er eine Weile da und lauschte. Ganz wenige Geräusche waren zu hören: das Singen des Wassers, das im Kessel zu sieden begann, und das Schmatzen der Katze zu seinen Füßen.
    »Du bist doch der urbanste Mensch auf dieser Welt«,

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