Die Süße Des Lebens
hatten seine Freunde damals gesagt, »wie kannst du aufs Land ziehen?« Er hatte geantwortet, Furth am See sei nicht das Land, sondern eine Stadt mit mehr als fünfunddreißigtausend Einwohnern, einem Theater, einem Symphonieorchester, einem Jachthafen, einer Fachhochschule und einem Zentralkrankenhaus, das nicht nur die Absicht habe, sich ein eigenes psychiatrisches Department zu leisten, sondern auch auf seine Wünsche nach der Möglichkeit, kinderpsychiatrisch zu arbeiten, ohne Zögern eingegangen sei. »Gib zu, es ist wegen Frege«, hatten einige gesagt, und er hatte es abgestritten. Natürlich war es zum Teil wegen Frege gewesen. Frege war ein psychopathisches Arschloch, das ihm seine Chance, Böhler als Leiter der Abteilung nachzufolgen, systematisch zunichte gemacht hatte. »Wissen Sie, Horn ist ein extrem kompetenter Kollege. Diese gewisse Entscheidungsschwäche fällt da gar nicht ins Gewicht.« Oder: »Mich hat gestern eine Mutter zur Seite genommen und gesagt, sie traue sich Doktor Horn nicht anzusprechen, sie komme sich ihm gegenüber so blöd vor.« Frege war längst fort; er war zwei Jahre nach seinem, Horns, Abschied an eine Klinik für Suchterkrankungen nach Deutschland gegangen. Trotzdem habe ich immer noch die Phantasie, ihm die Zähne einzuhauen oder ihm eine glühende Nadel in den Oberschenkel zu jagen, dachte Horn. Er schaufelte Kaffee in die Bistrokanne und goss mit kochendem Wasser auf.
»Bach und Sex gleichzeitig geht nicht.« Er fuhr herum. Irene stand in der Tür und grinste. »Ich hab dich nicht kommen gehört«, sagte er.
»Ich weiß. Es ist nett, dass du Frühstück machst.«
»Tu ich doch immer. Seit wann bist du schon auf?«
»Seit zwei, drei Stunden.« Sie kam auf ihn zu und küsste ihn leicht auf den Mund. »Bach und Sex nacheinander geht schon«, sagte sie. Er nahm ihre rechte Ohrmuschel zwischen die Finger. »Du hast die abstehendsten Ohren der Welt«, sagte er. »Ich weiß«, sagte sie und küsste ihn noch einmal. »Vor oder nach dem Frühstück?«, fragte er. »Vor dem Frühstück«, sagte sie.
»Die Eier sind hart«, stellte Horn eine Weile später fest. Der Eierkocher hatte gebrüllt, als sie eben in der schönsten Aktion gewesen waren. Er hatte zur Seite gegriffen, um das Kabel aus der Steckdose zu ziehen, und die Eier waren im heißen Dampf stehen geblieben. »Im Winter soll man die Eier hart essen«, sagte Irene und steckte sich eine Scheibe Salami zwischen die Zähne. Horn nickte. »Das macht einen im Schneesturm schwerer«, sagte er. Sie lachte und blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie hat rote Wangen wie ein junges Mädchen, dachte er. Er wusste, dass sie niemals auch nur eine Sekunde daran gedacht hatte, nach Wien zurückzugehen. »Was willst du?«, sagte sie, wenn die Sprache darauf kam, »alles ist besser geworden.« Er hatte nie versucht, dagegen zu argumentieren, Michael schon, das hatte die Beziehung zu seiner Mutter noch schwieriger gemacht.
Sie sprachen über den Bogen und über die Frage der Qualität von Musikinstrumenten insgesamt. »Er bockt ab und zu«, sagte sie, »das ist gut.« Ein Instrument, das wirklich zu einem passe, müsse gewissermaßen zu einem Körperteil werden. Bei Yehudi Menuhin und seiner Geige habe man das besonders bemerken können. »Oder bei John McLaughlin«, sagte er.
»Wer ist John McLaughlin?«
»Banause!« Es war eine Art Spiel zwischen ihnen. John McLaughlins Gitarre habe sich auch verhalten wie ein Körperteil, zumeist verschmolzen und ab und zu komplett eigensinnig.
»Nachher möchte ich noch Honig«, sagte sie.
»Iss zuerst dein hartes Ei auf.«
Sie hielt ihm die leere Schale hin. »Bähhh!«
Horn erhob sich und schlurfte in Richtung Speisekammer. »Was machst du?«, fragte sie.
»Ich hole der Frau Solo-Cellistin ihren Honig.« Sie warf eine zusammengeknüllte Serviette nach ihm.
Horn kramte eine Weile zwischen den Marmeladegläsern und den Flaschen mit selbstgemachtem Fruchtsaft herum. Ganz hinten im Regal fand er ein kleines Glas Thymianhonig, das sie vor Jahren aus einem Türkei-Urlaub mitgebracht hatten. »Echter Honig ist aus«, sagte er. Sie mühte sich mit dem Schraubverschluss ab, hielt ihm schließlich das Glas zum Öffnen hin.
»Was war eigentlich gestern mit der Kleinen?«, fragte sie.
»Ich werde nachher zu Joachim und Else fahren und Honig holen.«
»Ich meine das Mädchen mit dem Großvater.«
Er griff sich noch eine Semmel aus dem Korb, schnitt sie auf und begann sie mit Butter zu
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