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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Monate altes Mädchen war definitiv nicht der Teufel. Am ehesten spaltete die Mutter eigene negative Anteile ab, projizierte sie in die Tochter und versuchte sie auf diese Weise abzuwehren. Das katholische Muster, das in diesem Land so beliebt war – das eigene Schlechte im anderen dingfest zu machen. Das Fatale ist, dass das Abgespaltene immer bei der Hintertür hereinkommt, dachte Horn. »Was kommt bei der Hintertür herein?«, fragte Christina.
    Horn erschrak. »Habe ich gesprochen?« Sie lachte und griff ihm an den Oberarm. »Das tust du ständig«, sagte sie.
    Ich spreche laut vor mich hin, ohne es zu merken, dachte er, ich tue Dinge, von denen ich nichts weiß, das ist nicht gut.
    »Der Teufel kommt bei der Hintertür herein«, sagte er, »ihn habe ich gemeint.« Aber eigentlich könne man das nicht so sagen, denn wer wisse schon, wie der Teufel sei oder wie er aussehe. Eine Weile schwiegen alle. Dann sagte Lydia: »Der Teufel ist in erster Linie falsch, glaube ich. Er sieht nett aus, aber er ist falsch. So muss es sein.« Lili Brunner schüttelte den Kopf. »Der Teufel ist nicht nett«, sagte sie. Horn schaute durch sie hindurch. Vielleicht war es so, wie Lydia gemeint hatte, vielleicht ging es in Wahrheit um Verschiebung und der Teufel, den Caroline Weber in ihre Tochter hineingetan hatte, war ursprünglich aus einer ganz anderen Person geschlüpft, aus jemandem, der nett schien, aber falsch war.
    Horn hob die Hand. »Einen Moment«, sagte er. Er trat auf die Küchentür zu und klopfte zweimal. »Frau Weber«, sagte er laut, »ich bin es, Doktor Horn. Ich weiß, dass es Ihnen schlecht geht, und ich weiß, dass Sie momentan so allein sein wollen, wie Sie sich fühlen. Ich befürchte aber, dass Ihr Alleinseinwollen derzeit ziemlich weit geht, daher kann ich es nicht zulassen. Andererseits mag ich es nicht, wenn die Feuerwehr kommt und die Tür kaputtmacht, und alle auf der Station wachen auf und morgen wird im ganzen Haus darüber geredet. Machen Sie bitte auf. Ich weiß übrigens auch, dass die Wurzel der Geschichte nicht Ihre Tochter, sondern Ihr Mann ist; zumindest glaube ich das.«
    Lili Brunner schaute ihn groß an. Horn hob ein wenig die Schultern und legte den Finger an die Lippen.
    Nach vielleicht zwanzig Sekunden drehte sich der Schlüssel im Schloss. Caroline Weber stand mit hängenden Armen in der Tür. Horn versuchte zu erfassen, was passiert war. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass der Schlosser neben ihm schlagartig bleich wurde wie ein Leintuch. Die Erste, die etwas sagte, nur ein einziges Wort, war Christina: »Unfallchirurgie.«
    Eineinhalb Stunden später war die Sache gelaufen. Caroline Webers Schnittwunden, die sie sich mit den Scherben eines Desserttellers an beiden Unterarmen und an der linken Halsseite zugefügt hatte, waren versorgt und sie selbst lag in einem Schlaf, der nach menschlichem Ermessen zumindest vierundzwanzig Stunden dauern würde. Leuweritz, der diensthabende Unfallchirurg, war sowieso wach gewesen und hatte daher nicht gemault, ganz im Gegenteil, er hatte mit Geduld und Hingabe genäht und geklebt und dabei gemeint, das Ganze sei eine Art Erholung, habe er doch eben ein fünfjähriges Mädchen operiert, dem von einem Auto beide Unterschenkel zertrümmert worden seien. Der Fahrer sei einfach aufs Gas gestiegen und abgehauen, habe der Vater des Mädchens erzählt. In der Aufregung habe er natürlich nicht auf das Kennzeichen des Autos geachtet; ein dunkelblauer Kombi, das habe er noch gewusst.
    Horn lag auf der Couch in seinem Dienstzimmer. Bis zur Morgenbesprechung war noch eine knappe Stunde Zeit. Das Jahr endet wirklich nicht gut, dachte er. Menschen fahren Kindern gegen die Beine und hauen ab, andere Menschen fahren alten Männern über den Kopf, junge Mütter schneiden sich auf und meine Frau streitet mit meinem Sohn, dass es nur so knallt. Sein Blick fiel auf die Kasperlfiguren, die ihm gegenüber im Regal saßen. Das waren noch Zeiten, als das keiner in Frage stellte: Seppel war gut, weil er der beste Freund des Kasperls war, der Räuber war böse, weil Räuber nun einmal böse sind, und der Wachtmeister mit der Pickelhaube war gut, weil Wachtmeister der Arm des Gesetzes sind und damit basta. In Wahrheit war er Kinderpsychiater geworden, um sich ein Stück dieser Einfachheit zu retten, das war ihm bewusst. Dass sich die Menschen im Allgemeinen nicht daran hielten, war eine andere Sache.
    Der Vormittag verlief vergleichsweise ruhig. Leithner war übers Wochenende

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