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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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und Coruscant und Naboo und die vier Sonnen, die ewig und noch einmal ewig leuchten.
    So war der Auftrag: Setz dich auf einen der Baumstämme, die neben der biologischen Beobachtungsstation liegen, dort, wo im Spätherbst vom Boot aus das Schilf gemäht wird. Lies den Zeitungsartikel noch einmal und schau auf den See hinaus. Fühle, wie es dich durchdringt. Du bist ein Werkzeug. So hat er gesagt: wie es dich durchdringt, und er hat sich auf meinen Brustkorb gekniet, um alle fremde Luft aus meinen Lungen zu pressen, und mir war ganz schwarz vor den Augen.
    Man kann hier nicht auf den See hinausgehen. Das Eis ist dünn und ein Stück in Richtung Stadt, nach dem dunklen Gebäude der Beobachtungsstation, ist es komplett verschwunden. Dort, an der Stelle, an der die Ache aus dem See fließt, sammeln sich die Enten und Graugänse. Ab und zu kommen auch zwei Schwäne.
    Einen Kilometer weiter westlich ist das Eis angeblich zwanzig Zentimeter dick. Sie haben gebohrt und gemessen, bevor sie dort zu Silvester das Feuerwerk abgeschossen haben. Wir waren alle dabei. Mein Vater war sehr gut aufgelegt und meine Mutter hat einen Fehler gemacht. Seine Kunden sind seine Kunden und er kann mit ihnen Punsch trinken, so viel er will, und sie soll sich nicht einmischen, sagt Daniel. Sie hat sich eingemischt und sie hat dem jungen Grosser recht gegeben und gesagt, ja, ein silberfarbener Z3 ist für eine Frau ein netteres Auto als ein dunkelgrünes MG-Cabrio. Überhaupt hat sie mit dem jungen Grosser geflirtet, was letztlich dazu geführt hat, dass am nächsten Tag ihr Gesicht ausgesehen hat wie Heidelbeerkuchen. So hat es mein Vater beim Frühstück gesagt: »Dein Gesicht sieht ja aus wie Heidelbeerkuchen.« Und Daniel hat später zu mir gesagt: »KV statt GV.« Dann hat er mir eine geknallt, weil ich nicht gewusst habe, dass GV Geschlechtsverkehr heißt. Daher war es total in Ordnung, finde ich.
    Ich habe die Zeitungsseite in eine Klarsichthülle gesteckt, damit sie nicht feucht wird. Die Klarsichthülle stammt aus dem Büro meines Vaters, was er besser nicht wissen sollte. Er hat Phasen, da sind ihm Klarsichthüllen, die man aus seinem Büro nimmt, komplett egal, und dann hat er wieder Phasen, da ist das nicht so. Man weiß im Vorhinein nie, in welcher Phase er gerade steckt. Ich glaube, das meint er, wenn er von seinem Wesen spricht. Er sagt, das Wesen eines erfolgreichen Autohändlers ist es, so zu tun, als sei man völlig berechenbar, und in Wahrheit ist das Gegenteil der Fall.
    Die Überschrift ist unsympathisch: ›Stadt in Angst‹. Das klotzt einem fett entgegen. Darunter ein Riesenbild von einer schrägen Schneefläche, im Hintergrund eine Scheune – angeblich der Fundort der Leiche. In dem Artikel heißt es, die Sache ist nicht nur ein klarer Mord, sondern, mehr noch, ein besonders bestialisches Verbrechen, sodass sich jetzt alle fürchten müssen. ›Mit einem laut Gerichtsmedizin rasierklingenscharf geschliffenen Instrument wurden dem Opfer Luftröhre und Halsschlagader durchtrennt.‹ Dick unterstrichen mit rotem Filzstift. Die Tochter ist völlig zerstört, heißt es, sie weiß überhaupt nicht, warum man ihrem Vater, der sein Leben lang ein friedliebender Mensch war, so etwas angetan hat, und die ganze Familie befindet sich in psychologischer Behandlung. »Die Welt ist ungerecht«, sagt Daniel, »der Welt ist es vollkommen egal, ob du ein friedliebender Mensch bist oder nicht. Drinnen zum Beispiel lassen sie dich Scheiße fressen oder sie ficken dich in den Arsch und keiner fragt, was für einer du davor gewesen bist.« Dann packt er eine Hautfalte über meiner Brust und dreht so lange, bis ich schreie. Am Ende des Artikels steht eine Menge über das fehlende Motiv, darüber, dass bei dem Mann kein Geld zu holen war, weder aus der Brieftasche noch vom Bankkonto, und dass er das mit der Erbschaft schon lange wasserdicht geregelt hatte und darüber, dass er im Jagdverein und überall sonst, wo er mitgemacht hat, ein geachteter und beliebter Mensch war, dass man daher von einem hasserfüllten und kranken Täter ausgehen muss.
    Ich sitze da und schaue auf den See hinaus. Der Schneefall wird stärker und ich stelle mir vor, wie bald eine dicke fluffige Schicht auf dem Eis liegen wird und die Schneekristalle werden zuunterst in das Eis hineinsinken und mit ihm verschmelzen.
    Links von mir, wo das schwarze Wasser beginnt, lärmen die Enten. Manche von ihnen verschwinden im Bootshaus und kommen nach einiger Zeit wieder heraus. Es

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